Verrat und Verführung
Tatsachen. Trotz seines harten, entschlossenen Auftretens ging Simon Rockley bei seiner weiteren Fahndung erstaunlich diskret vor. Die spektakuläre Flucht des Verbrechers aus dem Black Swan Inn, unmittelbar nach seiner Festnahme, erregte in der Öffentlichkeit weniger Aufsehen, als man es hätte annehmen können. Ein paar Nachbarn, die der Aufmarsch von Sir Johns Truppe vor dem Gasthaus angelockt hatte, waren die einzigen Zeugen. Allzu viel hatten sie nicht beobachtet, die Achseln gezuckt und sich wieder um ihre eigenen Angelegenheiten gekümmert, nachdem alles vorbei gewesen war.
„Ihr seht also, meine liebe Miss Atherton“, beendete Sir John seinen Bericht, „Eure Anwesenheit im Gasthaus hat wohl eine gewisse Neugier geweckt. Aber Lord Rockley ließ sofort verlautbaren, Euer Besuch habe nicht mit Buckley zusammengehangen und sei völlig harmlos gewesen.“
„Natürlich bin ich Lord Rockley sehr dankbar für seine Mühe und Sorge um mich“, murmelte Christina und wich Sir Johns Blick aus. Wenn sie auch kein Unrecht begangen hatte – sie fühlte sich mitschuldig an dem Leid, das der Schurke so vielen Menschen zugefügt hatte. Deshalb bezweifelte sie, dass sie sich jemals wieder eines reinen Gewissens erfreuen würde.
„Ja, genau das war es – seine Sorge um Euch. Immerhin begabt Ihr Euch in große Gefahr. Nachdem Ihr Buckleys Versteck ausgekundschaftet hattet, war Lord Rockley maßlos erleichtert. Umso mehr, weil Ihr ihm sofort Bescheid gegeben und ihn persönlich zum Black Swan Inn geführt habt. Dadurch wurde der Gauner nicht vorgewarnt, was zweifellos geschehen wäre, hätte Seine Lordschaft das Haus in Begleitung mehrerer Konstabler betreten.“
„Das … hat er Euch erzählt?“ Christina hasste Lügen in jeder Form. Trotzdem musste sie darauf eingehen, um jeden Verdacht von William und sich selbst abzulenken.
„In der Tat. Und er betonte auch, wie tapfer Ihr gewesen seid.“
Die Stirn gerunzelt, hörte sie dem Friedensrichter zu und verbarg ihre Überraschung. Simon Rockley war und blieb ein Rätsel. Warum er sich plötzlich entschlossen hatte, William und sie selbst zu verschonen, verstand sie nicht. Jedenfalls war sie maßlos erleichtert.
Am Horizont erschien ein neuer Hoffnungsschimmer. Zum ersten Mal seit Monaten verspürte sie eine gewisse Zuversicht. So lange hatte sie unter ihrer Verzweiflung gelitten. Aber sie war jung, das Leben lag noch vor ihr, und es widersprach ihrer Natur, unentwegt Trübsal zu blasen. Auf wunderbare Weise gewann sie den Eindruck, die Dinge wären gar nicht so schlimm, wie sie aussahen.
„Dafür bin ich Lord Rockley sehr dankbar, Sir John.“ Etwas mühsam kamen die Worte über ihre Lippen. „Bitte, richtet ihm das aus, wenn Ihr ihn nächstes Mal trefft.“
„Das tue ich sehr gern. Seine Nachforschungen haben die ganze unselige Affäre ans Licht geholt. Jetzt liegt Buckleys verbrecherische Organisation in Trümmern – für alle Zeiten. Bald wird man ihn schnappen. Für immer kann er dem Gesetz nicht entkommen. Und wer hätte das gedacht – die Höhle unterhalb von Oakbridge als Stützpunkt zu benutzen, direkt vor der Nase Eures Bruders! Ungeheuerlich, diese Dreistigkeit!“
„Allerdings“, murmelte Christina.
„Aber soviel ich weiß, waren die Höhlen lange Zeit nicht betreten worden. Und obwohl sie durch die Tunnel mit diesem Haus verbunden sind, befinden sie sich in einiger Entfernung. Deshalb konnte Eurer Bruder gar nicht wissen, was da unten geschah. Würde ich ihn verdächtigen, nachdem er sich stets als treuer Freund erwiesen hat, wäre das unverzeihlich.“
„Habt Ihr die unterirdischen Gänge und die Höhlen besucht, Sir John?“
„O ja – und sie liegen so versteckt, dass sie sich geradezu ideal für Buckleys Zwecke geeignet haben. So reichhaltiges gestohlenes Gut fanden wir da unten – Juwelen, Gemälde, Silber und andere kostbare Schätze. Das alles hätte Buckley ein enormes Vermögen eingebracht, und die Jakobiten wären in Geld geschwommen. Jetzt wird die Beute den rechtmäßigen Besitzern zurückerstattet. Es gibt doch einen Tunnel, der die Höhlen mit dem Haus verbindet, nicht wahr, Miss Atherton?“
Christina nickte. „Neulich ließ William den Zugang versperren, um unwillkommene Besucher fernzuhalten.“
„Sehr vernünftig. Einige von Buckleys Spießgesellen wurden festgenommen, andere sind geflohen – zweifellos, um ihre Missetaten in anderen Grafschaften fortzusetzen. Natürlich fahndet Lord Rockley weiterhin nach
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