Verrat und Verführung
annehme, wird Lord Rockley ehrenwert handeln und dich heiraten?“
„Wenn er das tut …“ Christina verzog das Gesicht. „Dann nur wegen des Kindes.“
„Du bist eine schöne junge Frau, die zudem auch innere Werte besitzt – und die jeder vernünftige Mann nur zu gern um ihrer selbst willen heiraten würde. Falls Lord Rockley dich für sich gewinnt, darf er sich glücklich schätzen – ganz gleichgültig, auf welche Weise es ihm gelang.“
„Oh, ich wünschte, ich könnte daran glauben … Aber selbst wenn wir heiraten – das alles ist so kompliziert.“
Celia sah die Nichte prüfend an. „Heißt das – er weiß nichts von dem Kind?“
„Nein, ich habe ihn nicht verständigt. Wir sind uns nicht mehr begegnet seit …“
„Dann muss er es erfahren. Darauf hat er ein Recht, und ihr beide müsst einen Entschluss fassen.“
Zwischen widersprüchlichen Gefühlen hin und her gerissen, spürte Christina ein Schluchzen, das in ihrer Kehle aufstieg und ihre Stimme zu ersticken drohte. „So … einfach ist es nicht“, stammelte sie. „Wenn er mich zurückweist – wie soll ich das ertragen?“
„Kein Mensch vermag vorauszusehen, was ein anderer tun wird. Trotzdem musst du mit Lord Rockley sprechen. Du liebst ihn. Das weiß ich – obwohl du es zu verleugnen suchst. Lass diese Liebe doch einfach in dein Herz.“
„Keine Ahnung, ob ich das schaffe“, wisperte Christina.
„Natürlich kannst du es. In der Zwischenzeit müssen wir entscheiden, was geschehen soll.“ Die Stirn gefurcht, musterte Celia ihre Nichte. „Du wirst Lord Rockley doch über seine Vaterschaft verständigen?“
„Das muss ich wohl … Wie du sagtest, es ist sein gutes Recht, die Wahrheit zu erfahren.“
„Je früher, desto besser. Wo ist er jetzt?“
„In London, nehme ich an. Er glaubt, hier würde er Mark Buckley aufspüren.“
„Ah, ich verstehe. Ich werde Erkundigungen einziehen und herausfinden, wo er wohnt. Allzu schwierig dürfte das nicht sein.“
Schon am nächsten Tag begleitete Christina ihre Tante zu einigen kleineren gesellschaftlichen Ereignissen. In der darauffolgenden Zeit besuchten sie Konzerte, Theateraufführungen, Museen und Ausstellungen. Dies alles gehörte zu dem kulturellen Repertoire, das Celias Alltagsleben prägte. Solche Gelegenheiten nutzte Christina, um alte Freundschaften zu erneuern.
Erst zwei Wochen nach ihrer Ankunft in London, auf einem Ball in den Assembly Rooms nahe dem Charing Cross, kreuzte Lord Rockley endlich ihren Weg.
Im Ballsaal drängten sich zahlreiche Menschen. Lautes Stimmengewirr mischte sich mit der Musik. Am Ende des Raums spielte ein Orchester auf einem Podium. Christina ließ ihren Blick über ein Kaleidoskop aus Farben schweifen – leuchtende Ballkleider, Männer in eleganter Kleidung, mannigfaltige gepuderte Perücken. Bald wurde Celia, in der Londoner Gesellschaft sehr beliebt, von Freunden umringt.
Als Christina nach einem Menuett von ihrem Partner von der Tanzfläche geleitet wurde, sah sie einen Mann an der Tür stehen. Sofort erkannte sie Simon. Sekundenlang stockte ihr Herzschlag, beinahe schwankte sie. Mit einem mühsamen Lächeln dankte sie ihrem Tanzpartner, der sich verneigte und davonschlenderte.
Dann wandte sie sich wieder zu Simon, betrachtete sein aristokratisches Profil, die aufrechte Gestalt. Sie beobachtete, wie er einen Freund begrüßte und sichtlich gelangweilt die Szenerie inspizierte.
Als hätte er ihre Anwesenheit gespürt, drehte er langsam den Kopf in ihre Richtung. Ohne mit der Wimper zu zucken, erwiderte er ihren Blick. Eine dunkle Braue erhoben, lächelte er belustigt und deutete eine spöttische Verbeugung an. Angesichts dieser eindringlichen Silberaugen begann Christina zu zittern. Verlegen berührte sie ihr Kleid am Busen. Nur zu gut kannte sie diesen Blick, der sie auszuziehen schien.
Nach einer Weile verschwand er im Gedränge mehrerer Ballgäste. Aber seine Gegenwart bereitete Christina Folterqualen. Im weiteren Verlauf des Abends plauderte sie, lächelte, bedankte sich für Aufmerksamkeiten und Komplimente, die ihrer Schönheit galten. Doch die ganze Zeit hielt sie nach Simon Ausschau.
Nur selten verließ Celia ihre Seite. Als eine Freundin verkündete, Lord Rockley sei im Ballsaal eingetroffen, inspizierte sie die Gästeschar, bis sie einen Mann entdeckte, dem sie die Verantwortung für den unglückseligen Zustand ihrer Nichte zutraute.
„Ist das Lord Rockley, Kindchen?“, fragte sie.
„Ja, das ist er“, bestätigte
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