Verrat und Verführung
Konsequenzen zügelloser Leidenschaft allein gelassen hatte – und bei der Erinnerung an die vorangegangenen ungeheuren Beleidigungen war sie versucht, ihm den Rücken zu kehren und sich zu entfernen. Aber wenn sie sich in der Öffentlichkeit weigerte, mit ihm zu tanzen, würde sie ihn ebenso wie sich selbst demütigen. Trotzdem drängte ihr Stolz sie dazu. Weil er so unerträglich arrogant war, würde sie es geradezu genießen, ihn herabzuwürdigen. Mochte er sie auch vor Mark Buckleys Wollust gerettet und Williams Rolle in der jakobitischen Affäre vertuscht haben – kein Mann durfte sich nur aus Mitleid mit ihr abgeben. Verzweifelt suchte sie nach einem Mittelweg zwischen Vernunft und Stolz, als er schließlich vor ihr stehen blieb.
Formvollendet verneigte er sich. „Darf ich um den nächsten Tanz bitten, Miss Atherton?“ Ihr Blick ließ seinen Puls erneut schneller pochen. Sosehr er sich auch bemüht hatte – in diesen letzten zwei Monaten war es unmöglich gewesen, Christina aus seinem Gedächtnis zu streichen. Und jetzt, im selben Raum wie die Frau seiner Träume – empfand er ein so starkes Verlangen, dass er erschrak. Warum verlor er seine Selbstkontrolle, wann immer er sich in ihrer Nähe befand?
Entschlossen ignorierte Christina die Neugier ihrer Tante und hob ihr Kinn. „Euer Ersuchen ehrt mich, Lord Rockley“, erwiderte sie im Flüsterton, nur für seine Ohren bestimmt. „Aber Ihr werdet einen Tanz mit einer anderen Partnerin sicher vorziehen.“ Kaum merklich wies ihr Kopf zu den jungen Damen, die so eifrig um seine Aufmerksamkeit buhlten.
Nur flüchtig schaute Simon zu seinen Bewunderinnen hinüber, bevor er sich wieder zu Christina wandte. „Wann immer ich mir etwas vornehme, bin ich fest entschlossen. Die Dame, mit der ich zu tanzen wünsche, seid Ihr, Miss Atherton. Würde es mir belieben, eine andere Partnerin zu wählen, hätte ich das getan.“
„Dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als Eure Bitte zu erfüllen, Lord Rockley. Aber bevor wir tanzen, möchte ich Euch mit meiner Tante bekannt machen, Mrs Celia Slater. Tante Celia, sicher erinnerst du dich, was ich dir über Lord Rockleys Fahndung nach einem mörderischen Räuber erzählte, der die Umgebung von Oakbridge Hall in Angst und Schrecken versetzt hatte.“
„In der Tat, Christina.“ Wohlgefällig musterte Celia den attraktiven Gentleman und lächelte zufrieden. „Freut mich, Euch kennenzulernen, Lord Rockley. Ich wünsche Euch viel Erfolg bei Eurem Bestreben, für die gerechte Strafe jenes Verbrechers zu sorgen.“
„Besten Dank, Mrs Slater. Das wird mir gelingen, da mangelt es mir nicht an Zuversicht. Und natürlich ist das Vergnügen unserer neuen Bekanntschaft ganz auf meiner Seite.“
Entschlossen griff Simon nach Christinas Arm und führte sie zur Tanzfläche, während das Orchester zu musizieren begann. Zunächst tanzten sie ziemlich langsam und steifbeinig, bis sie sich unter dem Einfluss der rhythmischen Klänge entspannten. Jeder in den Anblick des anderen versunken, bewegten sie sich immer harmonischer.
Christina konnte nur noch an Simons Arm denken, der ihre Taille umfing, an sein atemberaubendes, markantes Gesicht, so dicht über ihrem. Und er wusste nur eins – wie weich sie sich anfühlte, wie köstlich ihr Parfüm duftete, wie geheimnisvoll ihre dunkelblauen Augen schimmerten.
Wegen eines plötzlichen Gedränges auf der Tanzfläche mussten sie das Tempo ihrer Schritte drosseln, und Christina brach das Schweigen. „Lord Rockley, ich möchte Euch danken, weil Ihr Williams Beteiligung an den schrecklichen Ereignissen auf Oakbridge vor den Behörden nicht erwähnt habt. Wäre er festgenommen worden … Was dann geschehen wäre, will ich mir gar nicht vorstellen. Also bin ich Euch zu aufrichtigstem Dank verpflichtet.“ Diese höflichen Worte stieß sie nur widerwillig zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, obwohl sie wusste, dass Simon ihre Anerkennung verdiente – zumindest in diesem Fall.
Einen Augenblick lang glaubte sie, er würde lachen. Stattdessen erwiderte er: „Für Euren Bruder tat ich es nicht, Miss Atherton, sondern für Euch. Wäre er verhaftet worden, müsstet Ihr unmittelbare, unvermeidliche, ziemlich schlimme Konsequenzen tragen. Denn es wäre kaum möglich gewesen, irgendwem einzureden, er hätte nichts von den Vorgängen auf Oakbridge gewusst.“
„Ja – danke. Allerdings besteht nach wie vor die Gefahr, jemand könnte etwas ausplaudern. Buckleys Komplizen bezweifeln
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