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Verraten

Verraten

Titel: Verraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Verhoef , Berry Escober
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Der Mann am Steuer hatte dickes, blondes Haar und einen Backenbart. Der sichelförmige Bluterguss neben seinem Auge war unter einer Schicht Make-up und einer Brille verborgen, die aufgeplatzte Oberlippe versteckte sich fast vollständig unter einem blonden Kunsthaarschnäuzer. Susan hatte zugesehen, wie Sil sich im Badezimmer maskiert hatte und sich dabei Schritt für Schritt in einen Typ Mann verwandelte, von dem es auf der Straße nur so wimmelte. Ein Allerweltsgesicht. Natürlicher war ihr klar, warum er das tun musste, aber es war, als verkleide er sich nicht nur äußerlich. Als er fertig war, war ihr sein Anblick unheimlich.
    Ihren Vitara hatte sie, um es mit seinen Worten auszudrücken, »abgeschrieben«. Der kleine Geländewagen stand versteckt in der Anonymität eines riesigen Parkplatzes am Rotterdamer Flughafen, wo sie auf ihren Namen für drei Wochen ein Auto bei Hertz gemietet hatten.
    Sie schaute hinaus. Sie fuhren eine schmale Straße entlang, die sich, rechts und links von Eichen gesäumt, durch eine ländliche Gegend schlängelte. Sie sah große Bauernhöfe mit Reetdächern und Gärten, in denen Spielgeräte für Kinder standen. Eingezäunte kleine Weiden mit Ziegen, Gänsen und Shetlandponys. Große, umgepflügte Stoppelfelder, auf denen vor einem Monat der Mais abgeerntet worden war.
    Susan kannte diese Gegend gut. Sie waren höchstens fünf Kilometer Luftlinie von ihrem Apartment in der Stadt entfernt. Doch irgendwie sah heute alles anders aus. Wie auf einem anderen Planeten. Dieselbe Landschaft, aber aus einer anderen Perspektive betrachtet. Sil hatte sie mit seiner Paranoia angesteckt.
    Sie bogen auf den asphaltierten Parkplatz eines Ferienparks ein, der mitten in den Laubwäldern lag. Sil stellte das Auto vor dem Eingang ab und holte die Reisetaschen aus dem Kofferraum. Sie nahm ihm eine ab.
    »Nicht vergessen: Wir sind im Urlaub. Also immer schön lächeln!«, mahnte er sie eindringlich und zwinkerte ihr aufmunternd zu.
    Sie nickte nervös.
    Der Empfang befand sich in einem feststehenden Wohnwagen, der mit Drehständern für Prospekte der örtlichen Sehenswürdigkeiten vollgestopft war. An einem Tisch, der als Schalter diente, saß eine Frau Ende sechzig und blätterte in einem Klatschblättchen. Ihre graue Dauerwelle, die wohl eine Überdosis Farbspülung abbekommen hatte, leuchtete violett. Über ihre Lesebrille hinweg blickte sie auf.
    »Hallo«, grüßte Sil freundlich. »Meine Freundin hatte Sie vorhin angerufen.«
    »Ach ja«, sagte die Frau fröhlich, »Sie wollten mal spontan Urlaub machen.«
    Sil nickte. Stieß Susan an. Sie lachte wie ein Bauer mit Zahnschmerzen.
    »Zeigen Sie mir bitte Ihren Ausweis? Ich brauche ihn nur von einem von Ihnen, Führerschein oder Pass geht auch.«
    Susan zog ihren Pass aus der Innentasche ihrer Jacke und legte ihn auf den Tisch.
    Die Frau notierte sich die Nummer in einem Empfangsbuch und stand auf.
    »Haben Sie Bettwäsche und Handtücher dabei?«
    Susan schüttelte den Kopf.
    »Macht nichts, Sie können sich hier welche leihen. Zwölf Euro pro Paket.«
    »Prima.«
    Die Frau wippte hoch auf die Zehenspitzen, zog mehrere in Plastik eingeschweißte Pakete aus einem Regal und gab sie Susan. Anschließend öffnete sie ein Schlüsselkästchen aus Holz und holte einen Schlüssel heraus, den sie ebenfalls Susan reichte.
    »Ihr Haus heißt Waldeule. Sie gehen diesen Weg bis ganz ans Ende durch und biegen dann links ab. Es ist das zweite Haus auf der rechten Seite. Soll ich Sie hinbringen?«
    »Nein danke«, sagte Sil. »Nicht nötig. Wir werden es schon finden.«
    Es waren keine vierhundert Meter zu Fuß über den unebenen Waldweg. Sie begegneten niemandem. Die dutzende kleinen Häuser, an denen sie vorbeikamen, schienen leer zu stehen.
    Ihres war ein braun gebeiztes Holzhäuschen mit weißen Fensterrahmen und einem grauen, mit Schindeln gedeckten Spitzdach. Inklusive der Veranda war es nicht größer als fünfzig Quadratmeter. Man ging über die Veranda hinein. Drinnen roch es nach Holz und Reinigungsmitteln. Der Fußboden bestand aus Kiefernholzdielen, und es gab eine Sitzecke mit Korbmöbeln und einem kleinen, schwarzen Fernseher auf einem Beistelltischchen aus Rattan. Die Küche bestand aus einem weißen Küchenblock, und rund um einen Küchentisch, der noch feuchte Wischspuren aufwies, standen vier Thonetstühle. An den Wänden hingen billige, weiß gerahmte Aquarellkunstdrucke und auf den Tischen und der Fensterbank im Wohnzimmer standen ein paar weiße

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