Verraten
Vasen mit künstlichen Blumen. Das Haus war klein, bot nur ein Minimum an Luxus und würde keinen Schönheitspreis gewinnen, aber es war ein Riesenfortschritt im Vergleich zu der winzigen Absteige in Antwerpen.
Sil ging sofort durch in das kleine Schlafzimmer und stellte seine Reisetaschen neben das Bett. Susan begann mechanisch, das Bett zu überziehen, und legte die Handtücher ins Badezimmer, das an das Schlafzimmer angrenzte. Sil rumorte in der Küche herum, klappte Schränke auf und zu und fand Filtertüten und Kaffee. Alles ging schnell, effizient und wortlos vonstatten. Für einen Außenstehenden hätte es ausgesehen, als seien sie seit zwanzig Jahren verheiratet.
Susan merkte, dass sie zitterte, und setzte sich auf das Sofa im Wohnzimmer.
»Hunger?«, fragte Sil und schaute um die Ecke.
Sie nickte.
»Dann gehe ich uns etwas holen. Ich muss sowieso noch ein paar Dinge erledigen. Ich habe schon mal Kaffee aufgesetzt. Ist es okay, wenn ich dich für kurze Zeit allein lasse?«
Sie nickte ergeben.
Er kam auf sie zu und gab ihr einen Kuss. Die Kunstfasern des Schnäuzers pikten ihr in die Oberlippe, und sie wich unwillkürlich zurück. Er zog sie vom Sofa hoch und drückte sie an sich. »Ist ja nur für eine Woche, Susan«, beruhigte er sie. »Höchstens zwei. Es ist bald vorbei, das schwöre ich dir. Aber bis dahin möchte ich, dass du hierbleibst.«
Sie nickte kaum merklich. Er drückte kurz ihren Oberarm und ging.
Vom Wohnzimmerfenster aus schaute sie ihm nach. Sie sah ihn den Waldweg in Richtung der Rezeption entlanggehen, zwei Reisetaschen über der Schulter. Als er weg war, schlüpfte sie aus ihren Schuhen und setzte sich wieder auf das Sofa. Zog die Beine an und schlang die Arme darum. Legte das Kinn auf die Knie. Starrte ausdruckslos vor sich hin.
Sie litt unter der Situation.
Trotz der spürbaren Anspannung vergingen die Stunden wie im Flug. Inzwischen war es Abend geworden. Nach Sils Rückkehr aßen sie ein paar Brote, und Sil informierte sie über die neuesten Entwicklungen. Er erzählte ihr, dass er ein Motorrad geliehen hatte, weil er damit im Zweifelsfall beweglicher war als mit einem Auto. Er hatte einen schwarzen Helm und verschiedene Utensilien aus einem Baumarkt mitgebracht. Nach dem Essen war er am Küchentisch sitzen geblieben, einen Block und einen Kugelschreiber vor sich, und hatte sich von Susan abgeschottet. Sie hatte ihm dabei zugeschaut, wie er hastige Entwürfe zeichnete, wütend Pfeile quer über das Papier malte und dann und wann Abkürzungen einkreiste, neben denen Daten standen. Und zahlreiche Fragezeichen. Die ganze Zeit über hatte er kein Wort gesagt und so getan, als sei sie Luft. Die Spannung in dem kleinen Haus war zum Schneiden.
Sein Verhalten sowie die Aussicht, dass er heute Abend ganz allein diese Mafiatypen ausspionieren wollte, hatten sie schier verrückt gemacht.
Mafiatypen, die ihn töten wollten. Und sie vielleicht auch.
Als der Abend hereinbrach, hatten sie schweigend eine Dosensuppe gegessen. Anschließend hatte er sich zu einem kurzen Nickerchen ins Schlafzimmer zurückgezogen.
Als er wieder auftauchte, war er unmaskiert. Er war wieder Sil, mit dem Unterschied, dass er jetzt eine Tarnhose mit grünen, braunen und schwarzen Flecken trug, dazu schwarze Sportschuhe und einen schwarzen Rolkragenpulli. Er hatte ein beigefarbenes Holster umgeschnallt, aus dem der Griff einer Pistole hervorschaute. Sie erkannte sie sofort als die Waffe, mit der er in Antwerpen auf sie gezielt hatte. Ein Schauder lief ihr den Rücken hinunter, und er musste es bemerkt haben, aber er beachtete sie nicht und wühlte stattdessen in einem schwarzen Rucksack herum. Überprüfte den Inhalt.
Sie betrachtete seine Kleidung, die aussah, als habe er sie schon oft getragen. Die Hose war an den Knien abgeschabt. Sie registrierte seinen konzentrierten Gesichtsausdruck. Die offensichtliche Routine, mit der er sich vorbereitete.
»Ich muss gleich los«, sagte er.
Sie hob den Blick.
»Hast du schon mal geschossen?«, fragte er.
Sie nickte. »Ja.«
»Ist es schon lange her?«
»Nein, erst letzte Woche.«
Er runzelte die Stirn und gleichzeitig erschien ein Lächeln auf seinem Gesicht. Das erste Lächeln des Tages.
»Erzähl.«
»Ich unternehme manchmal etwas mit Sven, meinem Nachbarn. Er ist in einem Schützenverein und hat mich mitgenommen.«
»Hast du es mit einer.22er probiert?«
»Ja, und mit einer 9-Millimeter.«
»Hat es denn einigermaßen geklappt?«
»Ja, ziemlich gut
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