Verraten
sogar. Vom Prinzip her ist es ähnlich wie Fotografieren, nur tritt meine Kamera nicht aus, wenn ich auf den Auslöser drücke.«
Wieder lächelte er.
»Okay«, sagte er, ging ins Schlafzimmer und kehrte mit einer schwarzen Automatikpistole zurück. Mit einem Klicken schob er das Magazin in den Griff. Legte den Sicherheitshebel um. Zog den Schlitten nach hinten. Legte die Pistole vor sie auf den Wohnzimmertisch. Sie schaute die Waffe an. Dann wieder ihn.
»Sie ist jetzt entsichert.«
Susan sagte nichts, schaute ihn nur unverwandt an.
» Same procedure. Wenn ich zurückkomme, klopfe ich in demselben Rhythmus an wie du in Antwerpen. Beim geringsten Verdacht zögerst du keine Sekunde.«
Sie hob fragend den Blick.
»Dann schieß, um zu töten.«
Sie riss die Augen auf.
»Wie soll ich das denn machen?«
»Du zielst auf Kopf, Hals oder Brust«, antwortete er, als sei es das Normalste auf der Welt, in einem Ton, als verrate er ein Tortenrezept. »Versuche, die Person ins Gehirn, ins Rückenmark oder ins Herz zu treffen, dorthin, wo ein einziger Schuss sofort tödlich ist.« Er fuhr von der Mitte seiner Stirn hinunter zur Brust. »Ziele auf irgendeine Stelle, die auf dieser Linie liegt.«
»Ich weiß nicht … Ich weiß nicht, ob ich das kann.«
»Die Wahrscheinlichkeit ist zwar gering, aber wenn sie dich finden, will ich mir gar nicht ausmalen, was sie mit dir anstellen werden. Deshalb schieß, um zu töten, Susan. Nicht nachdenken, tu es einfach. Und bring es zu Ende. Wenn du einen erwischt hast und er ist noch nicht tot, musst du nochmal schießen. Warte nicht ab, schieß einfach vier-, fünfmal. Versprichst du mir das?«
Sie schwieg.
»Das Magazin dieser Pistole enthält siebzehn Patronen«, erklärte er und deutete auf die Waffe. »Also zähle, während du schießt. Dann weißt du, wie viele du noch übrig hast. Das erspart dir unangenehme Überraschungen.«
Sie fragte sich, ob es nicht sowieso schon eine unangenehme Überraschung wäre, die Waffe überhaupt gebrauchen zu müssen. Aber sie sagte nichts.
»Wahrscheinlich wird es nicht nötig sein«, sagte er leise. »Aber sicher ist sicher. Es sind üble Typen, und sollten sie hier aufkreuzen, dann denk gar nicht lange nach, sondern schieß!«
Sie nickte. Versuchte zu schlucken, aber sie hatte einen dicken Kloß im Hals.
»Morgen früh bin ich wieder da«, versprach er. »Oder schon früher.«
Etwas in seinen Augen sagte ihr, dass er seiner Sache nicht so sicher war, wie er ihr weismachen wollte.
»Willst du sie wirklich nur observieren? Und bist du dir sicher, dass sie dich nicht bemerken werden?«
Er zögerte einen Augenblick. Lange genug, um ihr einen Schrecken einzujagen.
»Ja«, sagte er.
Sie glaubte ihm nicht. Er versuchte, sie um jeden Preis zu beruhigen, aber sie spürte die unterschwellige Spannung, die von ihm ausging.
»Sil … Ich habe Angst. Angst, dass dir etwas passiert«, flüsterte sie.
»Entspann dich«, entgegnete er. »Ich kann gut auf mich selbst aufpassen, und ich weiß, was ich tue.«
Er küsste sie auf die Stirn. Nahm ihr Gesicht in beide Hände und schaute sie eindringlich an.
»Bleib im Haus. Versprichst du mir das?«
Sie nickte.
»Dann bis gleich«, sagte er und ging zur Tür hinaus.
Sie lauschte angespannt auf seine Schritte, aber umsonst. Kurz darauf hörte sie in der Ferne ein Motorrad anspringen und wegfahren. Dann wurde alles still. Ihr Blick fiel auf die Pistole. Sie lag auf dem Kiefernholztischchen und grinste sie hämisch an. Sie sprang vom Sofa auf und ging in die Küche. Schaute in sämtliche Schubladen und Schränke und fand schließlich, wonach sie suchte: den Schreibblock mit seinen Aufzeichnungen. Sie nahm ihn mit ins Wohnzimmer und setzte sich wieder auf das Sofa. Sie studierte seine Anmerkungen. Seitenweise Begriffe und Abkürzungen, auf die sie sich keinen Reim machen konnte. Es war wie ein Rätsel, eine Knobelei für Fortgeschrittene. Mitten auf der ersten Seite stand ein eingekreister Code, P4Y, und dahinter ein Ausrufezeichen. Von allen Seiten zeigten Pfeile darauf. Sie fragte sich, was P4Y bedeutete. Wahrscheinlich war es wichtig.
Plötzlich fiel es ihr ein: Programs4You. Die Firma, für die Alice gearbeitet hatte. Sie runzelte die Stirn. Was hatte ein Sender wie Programs4You mit der russischen Mafia zu tun?
24
Er näherte sich dem Firmengelände von der Rückseite her. Besucher, die durch den Haupteingang kamen, konnten nicht ahnen, wie weit sich das Grundstück dahinter erstreckte.
Weitere Kostenlose Bücher