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Verraten

Verraten

Titel: Verraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Verhoef , Berry Escober
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beherrschen.
    Jetzt wandte er ihr seinen Blick zu. Sie sah sich selbst durch seine Augen. Aufgewühlt, mit wund geküssten Lippen, vollkommen abhängig.
    Fragend zog er eine Augenbraue hoch. »Es tut dir leid?«
    »Ich hätte nicht herkommen sollen. Es war ein Fehler.«
    Er zog tief an seiner Zigarette und blies den Rauch heftig wieder aus. Schaute erneut zum Fenster hinaus.
    »Ich glaube, das war unvermeidlich. Irgendwann musste es wohl sein.«
    Es war, als führte er Selbstgespräche.
    Sie wollte ihn nicht unterbrechen, erwartete - oder besser: hoffte -, dass er seine Überlegungen, seine Gefühle mit ihr teilen würde. Aber er schwieg. Er schien mit seinen Gedanken meilenweit weg zu sein.
    »Ich konnte es einfach nicht mehr ertragen«, sagte sie beinahe im Flüsterton. »Ich musste wissen, ob mich mein Gefühl vielleicht getrogen hatte. Ob einfach nur meine Fantasie mit mir durchgegangen war.«
    Wieder schaute er sie an. Mit traurigen Augen. »Nein, Susan, dein Gefühl hat dich nicht getrogen. Du bildest dir keineswegs etwas ein.«
    »Ist es ein Fehler?«, fragte sie.
    Wieder starrte er ins Leere.
    »Es ist menschlich. Du bist ein Mensch. Und ich auch.«
    »Und was jetzt?«
    Er fuhr sich mit beiden Händen durch das Gesicht und schloss mit bedauernder Miene die Augen.
    »Um dir die Wahrheit zu sagen: Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht, Susan.«
    Sie biss sich auf die Unterlippe.
    »Stimmt deine Telefonnummer noch?«, fragte er dann.
    Sie flüsterte ein leises Ja. Der Wink war deutlich. Es wurde Zeit zu gehen. Ihn allein zu lassen, ihm Zeit zum Nachdenken zu geben.
    Sie verließ das Haus und schloss die Tür hinter sich. Ihr Blick fiel auf die Geranien und einen Augenblick lang empfand sie Scham. Eine Amsel flog zwitschernd auf. Der schwarze Lack ihres Autos funkelte in der Sonne. Sie stieg ein und fuhr langsam die Auffahrt hinunter. An der Straße bremste sie und warf noch einen letzten Blick zurück auf das Haus. Dann gab sie Gas und fuhr los.
    Susan war weg und hatte nur einen Hauch ihres Geruchs zurückgelassen. Wie ein dünner Film lag er auf seiner Haut. Er konnte sie immer noch schmecken. Wie betäubt saß er auf dem Sofa und starrte ins Leere. Bis heute hatte er Susan als Phänomen betrachtet, das in keinerlei Verbindung zu seinem sonstigen Leben stand. Sie hatte nicht das Geringste mit seinem normalen Alltag zu tun gehabt, inklusive seiner Beziehung zu Alice.
    Völlig harmlos.
    Susan war für ihn wie ein faszinierendes, verbotenes, aber gefährlich fesselndes Computerspiel gewesen, von dem er einfach nicht lassen konnte. Dabei hielt er seine Korrespondenz mit ihr sorgfältig geheim. Susan existierte, abgeschirmt vor den neugierigen Blicken anderer, nur im Cyberspace und in seinem Kopf. Und dort war sie immer zu finden, jederzeit.
    Nur für ihn allein.
    Doch es war eine fatale Fehleinschätzung gewesen, zu glauben, das würde immer so bleiben. Wie hatte er sich das je einreden können? Sein unbeherrschtes Verhalten von vorhin hatte ihm schlagartig bewusst gemacht, dass er es auch gar nicht mehr wollte.
    So schmal war also die Grenze.
    Aber natürlich hatte er das seit jeher gewusst.
    Er rieb sich die Augen und seufzte tief. Er befand sich in einem tiefen Zwiespalt, hin- und hergerissen zwischen Vernunft und Gefühl.
    Er stand auf und betrachtete die strenge Einrichtung, die ihm plötzlich völlig fremd vorkam. Ihre Einfachheit und Klarheit hatte einst so beruhigend auf ihn gewirkt, doch nun kamen ihm die geraden Linien des Interieurs wie eine einzige harsche Anklage vor, und die leuchtenden Farben schrien ihn an und schnürten ihm die Luft ab.
    War es wirklich erst fünf Jahre her, dass er mit Alice zusammen Farbmustermappen durchgesprochen hatte, an den Wochenenden mit ihr durch Möbelhäuser geschlendert war und sie beim Abendessen fast nur noch über die Vor- und Nachteile von Woll- oder Kunstfaserteppichen geredet hatten?
    Es kam ihm vor, als gehörten diese Szenen zum Leben eines anderen.
    War er noch dieselbe Person?
    Susan.
    Sie besaß eine Dimension, die ihn stärker faszinierte, als er die ganze Zeit über hatte wahrhaben wollen. Sie vermittelte ihm das Gefühl, nicht allein zu sein. Und er war allein. Trotz Alice. Trotz allem.
    Wie hätte er den Kontakt zu ihr abbrechen können? Das hätte an geistigen Selbstmord gegrenzt. Der kultiviertere Teil seines Selbst mahnte ihn, dass er Unrecht tat. Dieser Teil von ihm hatte lange mit Normen und Werten gerungen, Fragen der Treue und Untreue

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