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Verraten

Verraten

Titel: Verraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Verhoef , Berry Escober
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und der fließenden Grenzen zwischen beiden. Alice hatte nie etwas gemerkt, aber wie sollte sie auch. Er mailte tagsüber, wenn sie arbeitete, und sie kannte nicht einmal das Passwort für seinen E-Mail-Zugang. Vielleicht ahnte sie etwas, aber wenn, verbarg sie es äußerst geschickt vor ihm. Ebenso geschickt, wie er wichtige Dinge vor ihr verborgen hielt.
    Der tiefe Zwiespalt in ihm hatte dafür gesorgt, dass er Susan und alles, was sie für ihn bedeutete, auf den Spielplatz hinter seiner Stirn verbannt hatte, wo sie sicher verborgen war. Und völlig harmlos, nicht real, ein virtuelles Spiel.
    Alles nur Illusion.
    Er war vor vollendete Tatsachen gestellt worden.
    Nichts war mehr wie zuvor.
    Im Keller herrschte Kühle. Er betrat den Trainingsraum, der in seinen Augen jetzt eher einer Trauerhalle als dem perfekt gestylten Raum glich, den er einmal darin gesehen hatte. Aus reiner Gewohnheit legte er eine CD von Papa Roach ein. Fette Bässe wummerten drauflos und Jacoby Shaddix schrie aus den in die Decke integrierten Lautsprechern. I need some space to clear my head, to think about my life, with or without you. Zufälle wie dieser waren wohl ein typisches Naturereignis, dachte er sarkastisch.
    Er stellte das Lauf band auf maximale Steigung ein. Fing an zu laufen, mit einer Geschwindigkeit von 12 Kilometern pro Stunde. Nach fünf Minuten steigerte er das Tempo. Er war in hervorragender Verfassung, aber nach einer Viertelstunde Bergauflaufen floss ihm der Schweiß in Strömen über das Gesicht und sein T-Shirt klebte ihm am Oberkörper.
    Dreißig Minuten später rannte er immer noch. Seine Wadenmuskeln brannten und fingen an, sich zu verkrampfen, und er war vollkommen außer Atem. Die laute Musik dröhnte durch den Raum, aber er nahm sie gar nicht mehr wahr. Das monotone Stampfen seiner Füße auf dem Gummiband war das Einzige, das noch in sein Bewusstsein vordrang. Und die Stimme in seinem Kopf, die quälend und unaufhörlich im Rhythmus seiner Schritte flüsterte: »Arme Alice, arme Alice, arme Alice.«
    Er rannte, bis er den Schmerz nicht mehr spürte und sich der weiße Raum um ihn herum in schwarze Flecken auflöste. Erst dann stoppte er das Band. Nach Luft ringend und am ganzen Körper zitternd beugte er sich über den Handlauf.
    Was bin ich doch für ein unglaubliches Arschloch.
     

6
     
    Er saß in einem großen Café, das schon vor zwanzig Jahren eine gründliche Renovierung hätte gebrauchen können. Wenn der Wirt noch einmal zehn Jahre durchhielt, wäre die Einrichtung aus den Achtzigern vermutlich schon wieder trendy. Eine leere Kaffeetasse stand vor ihm und eine Zeitung, die Limburgse Courant, lag aufgeschlagen auf dem Tisch. Er trug einen billigen beigefarbenen Anzug und neben ihm auf dem Boden stand ein Aktenkoffer.
    Heute mimte er einen Vertreter.
    Er wurde langsam ungeduldig. Seit zehn Uhr saß er hier, und es hatte sich noch nichts getan. Vielleicht hatte er sich ja geirrt. Manchmal erwiesen sich an einem bestimmten Punkt sämtliche Anstrengungen als vergeblich, und er musste nach monatelanger Planung sein Vorhaben abblasen. Vielleicht war das auch diesmal wieder der Fall. Er konnte nur noch eine halbe Stunde bleiben, länger nicht. Kein Vertreter, wie lahm auch immer, würde einen ganzen Vormittag über in einem miesen Café wie diesem hier herumhocken. Es wäre zu auffällig.
    Er zog noch eine Zigarette aus dem Päckchen. Unwillkürlich fiel sein Blick auf den schwarz-weißen Aufdruck mit dem schwarzen Trauerrand. Wie bei einer Todesanzeige, und so war es wohl auch gedacht. In Großbuchstaben stand schwarz auf weiß: RAUCHEN IST TÖDLICH.
    »Ich habe schlechte Nachrichten für dich«, flüsterte er dem Päckchen zu. »Leben ist auch tödlich.«
    Er verlagerte den Blick wieder zu dem in Schwarz und Rot gehaltenen Bordell auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Anstelle der Scheiben waren rote Holzplatten mit der schwarzen Silhouette einer nackten Frau in die Fensterrahmen eingelassen. In der Mitte über der Eingangstür befand sich eine Kamera. Weiter oben an der Fassade waren Lämpchen angebracht, die Buchstaben und Ziffern bildeten. Club 44.
    Vor dem Bordell hielt ein schwarzer Camaro. Seine Sinne waren aufs Äußerste geschärft. Er beugte sich über den Tisch, die rechte Hand an die Schläfe gelegt - ein Mann, der in Gedanken versunken die Zeitung las.
    Diese verdammte Brille.
    Er hob sie ein wenig an, sodass er mehr sehen konnte als nur verschwommene Umrisse. Wenige Sekunden genügten ihm, um

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