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Verraten

Verraten

Titel: Verraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Verhoef , Berry Escober
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worden.
    Dies war eines der wenigen schönen Erlebnisse dort auf der anderen Seite des Globus gewesen.
    »Dieses hier ist auch gut, Susan.«
    Zwischen ihren faltigen Fingern hielt Laura die Aufnahme von einer Gruppe grauer Riesenkängurus. Dutzende Silhouetten vor dem dunkelroten Sonnenuntergang.
    Für Susan symbolisierte dieses Foto den absoluten Tiefpunkt ihres gesamten Australien-Abenteuers. An jenem Abend hatte die Einsamkeit sie unbarmherzig an der Gurgel gepackt. Selten war es ihr so schlecht gegangen wie auf dieser ausgedehnten Ebene im Niemandsland. Das Foto drückte ihre Gefühle besser aus, als Worte es je gekonnt hätten.
    Sie blickte die Chefredakteurin an, die inzwischen einen neuen Ausdruck betrachtete, eine bewegende Aufnahme von einem Aborigine auf einem Berg, von einer höheren Perspektive aus fotografiert. Der dunkelhäutige Mann hatte seine Arme ausgestreckt und schaute mit einem fast wahnsinnigen Blick in die Kamera, als stünde er Auge in Auge mit seinem Gott. Oder seinem Satan.
    »Wie hast du das bloß hingekriegt? Da läuft es mir ja kalt den Rücken herunter.«
    Anstatt einer Antwort zuckte Susan nur mit den Schultern.
    In Wahrheit hatte sie dem Mann fünfzig australische Dollar geboten, damit er für sie Modell saß. Ein Foto wie dieses hatte sie schon seit Jahren im Kopf gehabt. Sie musste die Idee nur noch in die Tat umsetzen.
    Die Zusammenkunft war offenbar beendet, denn Laura schob ihre Auswahl an Fotos in einen Umschlag. Das Bild von dem Aborigine legte sie beiseite.
    »Ich bin gleich wieder da«, versprach sie und verschwand mit dem Foto in den Flur.
    Susan wusste, dass sie auf direktem Wege in die dtp-Abteilung marschieren und mit dem Artdirector darüber diskutieren würde, ob das Foto als Titelbild geeignet war. Ein gutes Titelbild erregte Aufmerksamkeit, brachte eine Saite im Betrachter zum Schwingen, erweckte Begehrlichkeit. So vermochte ein geschickt ausgewähltes Cover die Verkaufszahlen einer Zeitschrift um dreißig Prozent und mehr zu erhöhen.
    Es dauerte dann doch noch eine ganze Viertelstunde, bis Laura wieder zurückkehrte, aber schon als sie gegangen war, hatte Susan gewusst, wie die Sache ausgehen würde.
    Laura wedelte mit dem Aborigine-Foto. »Susan! Das hier wird es, das nehmen wir als Titelbild! Und aus diesen hier«, fuhr sie fort und griff nach dem Stapel Aufnahmen, die eben noch in dem Umschlag gesteckt hatten, »treffen wir eine Auswahl für das Australien-Sonderheft. Den Rest kannst du meinetwegen wieder mitnehmen.«
    Susan hatte im Laufe der Jahre erfahren, dass nur wenige Menschen die Finessen zu erkennen vermochten, die ein Foto über das Mittelmaß hinaushoben. Laura gehörte zu diesen einigen wenigen. Zwar würde die Chefredakteurin niemals zu einer Freundin werden, aber sie empfand Respekt vor ihr.
    »Ich muss jetzt leider dringend weg«, sagte Laura. »Ein Bewerber wartet schon auf mich. Ich rufe dich in den nächsten Tagen an, denn da kommt wieder etwas für nächsten Monat. Hast du Zeit?«
    »Ich denke schon«, antwortete Susan aus alter Gewohnheit.
    Und bereute es sofort anschließend.
    Eine blasse Sonne war durch die Wolkendecke gebrochen. Auf der A 27 lief der Verkehr flüssig. Kurz hinter Utrecht nahm sie die Überleitung auf die A 12 in Richtung Arnheim. Sie fuhr an einem leuchtend blauen Schild mit weißen Buchstaben vorbei, fuhr an der Abfahrt Zeist ab und spürte, wie ihre Nervosität mit jeder Sekunde zunahm.
    Kurz darauf hielt sie bei einem Informationsschild am Straßenrand an. Sie prägte sich die Route ein und fuhr weiter. Rechts und links der breiten Alleen standen zahlreiche viktorianisch anmutende Villen, die Zeist sein charakteristisches Aussehen verliehen. Viel geschnitztes Holz, Veranden und weitläufige Vorgärten mit hohen, alten Bäumen, langen Einfahrten und Reklameschildern von Notarskanzleien, Maklerbüros und Marketingfirmen. Sil wohnte in einem der neueren Viertel, wo die Grundstücke kleiner und die Häuser moderner waren.
    In dem Moment als sie mit ihrem Suzuki Vitara in die Einfahrt des großen, weißen Bungalows einbog, klopfte ihr das Herz bis zum Hals, und ihre Hände zitterten.
    Sie stieg nicht sofort aus. Blieb ein paar Minuten sitzen und sah sich das Haus und die Umgebung aufmerksam an. Sprach sich selbst Mut zu.
    Hier wohnte Sil.
    War es nicht merkwürdig, dass sie so viel über seine Ansichten und Gefühle wusste, aber nichts darüber, wie er lebte?
    Das Haus glich eher einem Bunker: ein großer, weißer Klotz mit

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