Verraten
aus. Trat ihn in den Rücken, gegen den Kopf, sprang in einem Anfall wahnsinniger Wut über den stöhnenden Mann hinweg und trat ihm ins Gesicht. Dann ging der rote Vorhang hoch, und er wurde sich auf einmal bewusst, was er da tat. Er keuchte. Zitterte am ganzen Körper, der voll gepumpt war mit Adrenalin. Er holte tief Luft. Versuchte, seinen Herzschlag und seine Atmung unter Kontrolle zu bringen.
»Steh auf!«, keuchte er. »Und grab, verdammt nochmal, grab!«
Paul blieb jammernd liegen.
»Halt dein Jammermaul, oder ich trete es dir ein!«
Paul rappelte sich auf. Langsam und steif. Stand leicht vornübergebeugt da, eine Hand in der Magengegend. Ein Rinnsal von schleimigem Blut lief ihm aus der Nase.
»Mach jetzt keinen Fehler, Maier«, sagte er schwer atmend und fing unzusammenhängend und schnell an zu reden. »Ich mochte sie gern, das habe ich schon gesagt. Es war nicht gegen dich gerichtet. Ich wünschte verdammt nochmal, dass ich es ungeschehen machen könnte. Vor allem nach dem, was geschehen ist. Aber ich konnte doch nicht ahnen, dass sie einen so furchtbaren Unfall haben würde. Woher sollte ich das wissen? Sie ließ mir keine andere Wahl! Sie drohte, es Anna zu erzählen.«
Sil schaute ihn schweigend an.
»Das tun sie immer«, fuhr Paul fort. »Aber jede von ihnen hat einen Ehemann oder einen Freund. Sie betrügen sie genauso wie ich Anna, und hinterher bereuen sie es. Aber meine Frau besitzt die Anteile, verstehst du? Wenn sie dahintergekommen wäre, wäre alles vorbei gewesen. Alles. Und Programs4You ist verdammt nochmal mein Leben. Deshalb habe ich es immer auf Video aufgezeichnet. Als Versicherungspolice. Es hatte nichts zu bedeuten. Ich wünschte wahrhaftig, ich könnte es ungeschehen machen …«
»Deine Versicherungspolice ist abgelaufen«, sagte Sil. Er dachte an das Videoband. Natürlich war es eine Kopie. Es musste ein Original geben.
»Wo bewahrst du die Bänder auf?«
»Im Büro.«
»Alle?«
»Alle.«
»Los. Marsch. Zurück zum Auto.«
Paul schaute ihn erstaunt an. Einen Funken Hoffnung in den Augen.
Die Autobahn war wie ausgestorben. Sil saß hinter Paul, die Pistole gegen die Rückenlehne des Sitzes gedrückt. Ein kurzer Blick auf die Seiko sagte ihm, dass es Viertel nach zwei war. Er war immer noch müde. Paul fuhr wie ein Zombie. Als der Tacho 150 anzeigte, fand Sil, dass es Zeit zum Eingreifen war.
»Versuch nicht, mich zu verarschen. Du fährst nicht schneller als hundert, sonst halten wir mal eben rechts an. Im Kofferraum kann ich dich auch transportieren.«
Paul murmelte etwas Unverständliches und ging vom Gas.
In der Stille, die im Wagen herrschte, versuchte Sil, zu rekapitulieren, was genau geschehen und was gesagt worden war. Er fragte sich, warum er Paul sturzbetrunken auf seinem Schiff gefunden hatte, wenn keine zwei Kilometer entfernt ein Zuhause und eine Frau auf ihn warteten.
»Weiß Anna davon?«, fragte er plötzlich. »Hat sie dich rausgeworfen?«
Paul gab keine Antwort.
Impulsiv nahm Sil ihn in den Schwitzkasten und drückte ihm den Lauf der HK hart an die Schläfe. »Ich hab dich was gefragt, verdammt nochmal!«
Der BMW geriet kurz ins Schlingern. »Ja, ja«, antwortete Paul. »Sie weiß es. Und sie ist nicht begeistert.«
Sil nahm den Arm wieder weg. »Also bist du deine Firma los?«
»Kann sein«, sagte Paul leise, und dann lauter: »Aber was geht dich das an?«
Es war das Letzte, was Paul sagte, bis sie nach einer Viertelstunde Almere erreichten. Sil zwang ihn, über die lange Zufahrt zu Programs4You bis dicht vor den Eingang zu fahren.
»Steig langsam aus«, befahl er. »Gib mir die Schlüssel.«
Paul gehorchte, stieg aus, und schon war Sil bei ihm, den Lauf der HK noch immer auf seinen Kopf gerichtet.
»Hör mir gut zu. Wir gehen jetzt rein. Ich will, dass du mir das Original aushändigst. Und dazu sämtliche existierenden Kopien.«
»Warum sollte ich?«
Die Antwort bestand aus einem kurzen, harten Stoß in Pauls Nierengegend. Paul verlor das Gleichgewicht und landete mit den Knien auf dem Pflaster. Er rappelte sich wieder auf, drehte sich um. Schaute Sil mit stumpfem Blick an. Er atmete schwer. Ihm lief immer noch Blut aus der Nase. Vermutlich war sie gebrochen.
»Du kriegst das Band«, sagte er.
Er ging Sil voraus zum Eingang. Das gesamte Gebäude lag im Dunkeln.
»Läuft eine Überwachungskamera?«
Paul schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Sicher?«
»Ja.«
Sil warf ihm die Schlüssel zu, und Paul fing sie ungeschickt auf.
»Okay,
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