Verraten
Schlüssel stecken.«
Paul gehorchte ohne zu zögern.
Die Stille, die folgte, war ohrenbetäubend.
»Steig aus, langsam, sodass ich jede deiner Bewegungen verfolgen kann. Behalte die Hände hinter dem Kopf.«
Paul stieg aus. Sil drückte die Tür auf, sprang aus dem Auto und nahm den Klappspaten mit, den er vor einer Viertelstunde aus seinem Rucksack geholt hatte.
Demonstrativ ließ er den Mechanismus des Spatens klicken, als er ihn aufklappte. Paul erstarrte. Er begriff wohl erst jetzt, womit der nächtliche Ausflug enden sollte.
»Lauf weiter, bis ich sage, dass du stehen bleiben sollst«, sagte Sil mit ruhiger Stimme, die nichts von seiner unterschwelligen Wut verriet.
Paul setzte sich in Marsch. Sie schlugen einen schmalen Pfad ein, der zwischen den Bäumen hindurchführte. Die Mondsichel am leicht bewölkten Himmel beleuchtete den Weg nur ganz schwach. In der Ferne ertönten die Rufe einer Eule und Blätter raschelten im Wind. Sil folgte Paul in sicherem Abstand.
»Stehen bleiben.«
Paul hielt abrupt inne, die Hände noch immer hinter dem Kopf gefaltet.
»Hier links ab, noch etwa zwanzig Meter.«
Paul lief weiter durch das niedrige Unterholz.
»Ist es wegen Alice, Sil?«, fragte Paul plötzlich. »Willst du mich jetzt umbringen, wegen dem, was mit Alice passiert ist? Ich konnte das doch nicht ahnen, ich …«
Sil wäre beinahe explodiert. »Halt die Fresse, Arschloch! Was soll das heißen, du konntest das nicht ahnen? Du hast sie doch mit voller Absicht in dein Hurennest gelockt! Du hast alles gefilmt und mir dieses schmierige Amateurvideo geschickt, damit ich auch was davon hatte! Was konntest du nicht ahnen? Was hast du wohl sonst damit bezweckt, verdammt nochmal? Dachtest du, ich würde mir das so einfach gefallen lassen? Hast du wirklich geglaubt, du würdest unbeschadet davonkommen? Du Dreckskerl! Halt bloß die Schnauze!«
Paul drehte sich hölzern um. »Maier, sie war eine tolle Frau«, sagte er unsicher und mit mehr Mut, als man ihm in dieser Situation zugetraut hätte. »Ich meine das ernst. Ich mochte sie sehr gern.«
»Du hast sie einen Scheißdreck gemocht! Maul halten!«
Sil warf Paul den Spaten zu. Er landete mit einem dumpfen Schlag auf dem kalten Waldboden.
»Los, grab, du miese Ratte!«
Paul bückte sich und hob den Spaten auf. Sil sah, wie er zögerte und sich seine Chancen ausrechnete, den Spaten als Waffe zu benutzen. Er beobachtete, wie sich nacheinander die verschiedensten Gefühle auf seinem vom Mond erleuchteten Gesicht widerspiegelten. Dann ließ Paul die Schultern sinken, als habe er alle Möglichkeiten durchgespielt und sähe keinen Ausweg mehr. Er stach mit dem Spaten in den lockeren Waldboden und begann aufreizend langsam zu graben. Sil beobachtete ihn aus einigen Metern Abstand.
Plötzlich rief Paul laut: »Nein, Sil, nicht ich habe sie ermordet, sondern du! Der Einzige, den sie liebte und für den sie lebte, das warst du und was macht ihr toller Ehemann?« Seine Stimme hallte schrill und verzerrt durch den Wald.
Pauls Worte trieben Sil zur Raserei. Was hatte Alice diesem Arschgesicht bloß alles erzählt? Er verspürte den unwiderstehlichen Drang, Paul zu treten und zu schlagen, wo immer er ihn treffen konnte.
Aber er tat es nicht. Paul war größer als er. Zwar weniger muskulös, weniger durchtrainiert. Aber Menschen, die dem Tod ins Auge blicken, sind zu viel mehr im Stande, als man vorhersehen kann. Also beherrschte er sich und blieb auf der sicheren Seite seiner HK.
»Du hast kein Recht, so zu reden«, sagte Sil. »Wenn du deine dreckigen Pfoten bei dir behalten hättest, wäre nichts geschehen, du widerliches Arschloch. Dann würde sie jetzt noch leben. Alice kannte ihren Porsche durch und durch. Sie muss so außer sich gewesen sein, dass sie wie eine Wahnsinnige gefahren ist und die Gewalt über den Wagen verloren hat. Und rate mal, aus welcher Richtung sie kam? Wo sie zuletzt gewesen ist? Du bist nicht mal eine Kugel wert, du Scheißkerl. Aber du sollst sie kriegen. Sei dankbar dafür. Es gibt Schlimmeres als einen schnellen Tod.«
»Vielleicht hättest du lieber deine dreckigen Pfoten bei dir behalten sollten«, entgegnete Paul, plötzlich selbstsicherer geworden. »Sie war fix und fertig. Sie ist zu mir gekommen, weil sie sich ausweinen wollte.«
Sil sah die weinende Alice deutlich vor Augen.
Die Vorstellung war unerträglich.
Im nächsten Moment lag Paul würgend und röchelnd auf dem Boden, die Hände auf den Magen gepresst. Sil holte erneut
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