Verraten
drückte. Immer fester.
Pauls Griff erschlaffte.
Im nächsten Moment schlug Sil blind mit der Faust zu. Traf seinen Widersacher mitten im Gesicht. Durch die Wucht des Schlags fiel Paul nach hinten. Blitzschnell kroch Sil unter ihm hervor, griff nach seiner HK und richtete die Waffe auf ihn. Zusammengekrümmt in Fötushaltung lag er auf dem Boden, die Hände vor den Augen. Er jammerte nicht. Sagte nichts. Lag einfach nur da.
»Du bist wohl völlig …«, er hustete, »… völlig übergeschnappt!«
Ihm tanzten noch immer Flecken vor den Augen. Er keuchte. Zuckte am ganzen Körper. Er wollte aufstehen, sah aber wie in einem Albtraum Paul auf sich zuhechten, sein blutiges Gesicht zu einer Grimasse verzerrt, den Mund grotesk zu einer grinsenden Maske verzogen, die Hände zu Klauen gekrümmt. Sil drückte den Abzug. Paul fiel wie ein Sack Kartoffeln über seine untere Körperhälfte. Sil zog seine Beine unter ihm hervor. Kroch im Sitzen rückwärts weg und rutschte weiter, bis er Widerstand im Rücken fühlte. Ein Schrank. Er stützte sich mit dem Rücken dagegen und drückte sich hoch. Schaute auf Paul hinunter. Aus Pauls Mundwinkel sickerte Blut, und seine Augen blickten ausdruckslos in Richtung Tür. Unter seinem Kopf entstand eine klebrige, nasse Pfütze auf dem Teppichboden. Paul war tot.
Die HK noch immer auf Paul gerichtet, lehnte er laut keuchend an dem Schrank. Schloss die Augen. Schluckte. Sein Mund war knochentrocken, und seine Kehle schmerzte. Wieder hustete er. Blieb für einen Moment so stehen. Zitternd. Keuchend.
Dann beruhigte er sich allmählich.
Er dachte nach.
Paul hatte offenbar den richtigen Code eingegeben. Niemand war im Gebäude, außer Pauls Leiche und ihm selbst. Es herrschte absolute Stille. Er brauchte nichts zu überstürzen.
Er blickte sich um. Die messingfarbene Hülse des ACP Geschosses lag rechts von ihm, ein paar Meter weiter, vor der Leiste des Wandschranks. Er hob sie vom Teppichboden auf und steckte sie in die Jackentasche. Er hockte sich neben den Toten. In Pauls Hals war ein kleines, rundes Loch. Er rollte ihn auf die Seite und betrachtete ihn von hinten. Die Kugel war quer durchgeschlagen und an Pauls Hinterkopf wieder ausgetreten. In der Vertiefung, wo der Hals in den Kopf überging, klaffte eine etwa drei Zentimeter große Wunde.
»Idiot«, sagte er leise. »Das wäre wirklich nicht nötig gewesen.«
Er erkannte, dass er mit Paul sprach, als würde er noch leben.
Er richtete sich auf und begann, eine Schranktür nach der anderen zu öffnen. Ordner, Marketingbroschüren und zahlreiche CD-Roms. In einer breiten Schublade fand er schließlich an die fünfzehn Videokassetten, sauber geordnet. Alle schwarz, ohne Hülle, ohne Aufdruck oder Etiketten. An den Seiten waren kleine weiße Aufkleber angebracht, auf denen mit blauem Stift Codes geschrieben standen: 08/11/00, 30/08/97, 17/06/99, 05/04/02.
Daten.
Dieser kranke Penner hatte sie nach Datum geordnet.
Sil zog ein Videoband vom Oktober dieses Jahres heraus und legte es in den Videorecorder ein, der auf einem Regal über der Schublade stand. Hinter dem Konferenztisch erwachte ein Plasmabildschirm zum Leben. Sobald Sil Alice darauf erkannte, hielt er das Band an und zog es aus dem Apparat.
Er schaute von der Kassette zu dem leblosen, blutigen, geschundenen Leichnam Pauls und bereute es auf einmal gar nicht mehr so sehr, dass er dessen Hirnstamm zu Mus geschossen hatte.
Er öffnete seinen Rucksack und fing an, die Videokassetten einzupacken. Es waren zu viele, sie passten nicht alle hinein. Er warf die übrig gebliebenen Bänder auf den Boden und trat sie entzwei. Das Plastik zerbrach und knisterte unter seinen Schuhsohlen. Er raffte die Bruchstücke zusammen und stopfte sie in den Rucksack. Jetzt passten sie restlos hinein.
Danach wandte er sich wieder Paul zu. Er fasste den leblosen Körper unter den Achseln und schleifte ihn zum Tisch hinüber. Pauls Kopf fiel schlaff zur Seite. Sil zerrte die Leiche auf einen der Konferenzstühle und versetzte ihr einen Schubs gegen den Oberkörper. Pauls Gesicht landete mit einem dumpfen Schlag auf der Tischplatte. Sil kehrte zur Schrankwand zurück, holte einen Stapel Marketingprospekte heraus, riss sie in Fetzen und legte Papierknäuel unter und auf die Leiche. Genauso verfuhr er mit einem Stapel Kopierpapier. Er platzierte die zusammengeknüllten Blätter unter dem Stuhl, zwischen dem Tisch und Pauls Kopf sowie auf seinem Schoß.
Danach schaute er sich die Decke des Raumes
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