Verraten
jemanden zum Stehenbleiben zu zwingen. Egal, wie gut man war: Es bestand immer die Gefahr, ein lebenswichtiges Organ zu treffen, und ein Toter konnte sie nicht zu dem Geld bringen. Das Geld war ihre höchste Priorität. Also würden sie nicht schießen, weil sie nicht das Risiko eingehen wollten, ihn zu töten.
Aber sie würden ihn verfolgen.
Er lief von Baum zu Baum weiter den Hang hinunter, hinkend wie ein angeschossener Fuchs. Schaute alle paar Schritte über die Schulter, auf jede Bewegung achtend, sah aber nichts als Felsen, Bäume und Sträucher. Der Berg fiel steil ab und Steine und Kiesel rollten und glitten unter dem Profil seiner Bergschuhe weg. Er rutschte ein paar Meter ab und konnte sich gerade noch so auf den Beinen halten. Merkte, dass seine Handflächen aufgeschürft und blutig waren.
Er war unten angekommen. Lehnte sich erschöpft gegen die Rückwand eines Hauses, das halb in den Berghang hineingebaut war. Mit einer Hand an der Mauer wandte er sich nach rechts, sich gegen den steil abfallenden Boden stützend. Er tastete sich an der Wand entlang bis an die Hausecke, wo der Fluss in das Dorf hineinströmte. Die Seitenwand des Hauses bestand aus einem massiven Felsen, der senkrecht aus dem brodelnden Wasser aufragte. Weiter unten rauschte der Wasserfall.
Er ließ sich an dem steinigen Ufer hinunterrutschen, bis er mit den Füßen im eiskalten Bergquellwasser stand. Ohne sich noch einmal umzuschauen, watete er durch den Fluss stromabwärts, in Richtung der kleinen Brücke. Der harte Untergrund war gefährlich glitschig und uneben, die Strömung stark. Mehr als einmal musste er sich an einem der Felsbrocken am Ufer festhalten, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren.
Unter der Brücke schien das Wasser noch stärker zu brodeln. Es zog an seinen Beinen. Er stand jetzt fast bis zur Taille in dem kalten Fluss. Watete weiter, unter der Brücke hindurch. Blieb dicht am Rand und hielt sich dabei ständig mit der linken Hand an dem glatten, tropfnassen Felsgestein der Brücke fest. Vor ihm donnerte das Wasser meterweit in die Tiefe. Der Lärm war ohrenbetäubend. Er kam immer langsamer vorwärts, weil die Strömung so stark war und seine Beine durch das eiskalte Wasser allmählich taub wurden.
Auf der anderen Seite der Brücke fanden seine Hände Halt an einem vorspringenden Mauerstück, und er zog sich aus dem Wasser. Er schwang die Beine hoch und stolperte die Uferböschung hinauf. Keuchte wie ein Wahnsinniger, den Mund weit aufgerissen. Blickte hinauf. Eine Mauer. Er wusste genau, wo er sich befand. Über diese Brücke war er ins Dorf gelangt. Das bedeutete, dass er den Landcruiser keine dreihundert Meter Luftlinie von hier entfernt geparkt hatte.
Er steckte die HK zurück in das Holster. Schaute erneut an der Mauer hoch. Schätzte die Höhe. Etwa drei Meter. Seine Beine schienen hundert Kilo zu wiegen und waren durch die Kälte träge und unbeweglich. Steif zog er sich hoch und kletterte an den groben Bruchsteinen nach oben. Auf dem letzten Stück zog er sich mit den Armen hinauf und schob mit den Füßen nach. Er warf die Arme über den Rand der Mauer und hielt sich an der Kante fest. Zog sich weiter hinauf. Suchte die Straße ab. Er beobachtete eine nach der anderen die Gassen, die von der Straße abzweigten. Blickte hinüber zu seinem Auto. Konnten sie schon dort sein? Erwarteten sie ihn bei seinem Wagen?
Er zog die HK wieder aus dem Holster und rannte wie vom Teufel gehetzt zu seinem Landcruiser. Wäre beinahe über seine eigenen Füße gestolpert. Ohne langsamer zu werden, holte er die Autoschlüssel aus der Hosentasche und entriegelte mit der Funkfernbedienung die Wagentüren. Außer Atem erreichte er den Geländewagen, zog die Fahrertür auf, sprang hinter das Steuer und fuhr mit Vollgas davon.
In der relativen Sicherheit seines Autos spürte er auf einmal die Schmerzen. Sein ganzer Körper war wie zerschlagen, als hätte ihn eine Meute aufgebrachter Dörfler gesteinigt und mit Knüppeln bearbeitet. Er versuchte, die Schmerzen, so gut es ging, zu unterdrücken. Konzentrierte sich auf die Straße vor ihm. Sie würden ihn verfolgen. Also musste er ein hohes Tempo beibehalten. Er hatte keine Ahnung, wohin er sich wenden sollte. Kilometerweit folgte er einfach der Straße. An einer Weggabelung hatte er die Wahl zwischen einer schmalen Bergstraße, die steil aufwärts führte, oder einer breiten Durchgangsstraße.
Er entschied sich für die Bergstraße. Der Landcruiser holperte bergan. Der Weg
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