Verraten
weiter.«
Sie runzelte die Stirn.
»Ich habe lange darüber nachgedacht, warum ich es tue«, fuhr er fort und schaute dabei zum Fenster. »Warum ich überhaupt damit angefangen habe. Was mich dazu getrieben hat. Und mich immer noch treibt. Und ich komme immer wieder zu demselben Ergebnis.«
Sie schaute ihn fragend an.
»Ich tue es für mich selbst«, fuhr er fort. »Für niemanden sonst.«
»Für dich selbst?«
Er nickte.
»Ich suche die Herausforderung. Diese Typen sind auf alles vorbereitet und zu allem fähig. Das macht die Sache zu einem Sport, zur ultimativen Herausforderung. Die brauche ich anscheinend. Ich brauche sie, Susan …« Er unterbrach sich und schaute sie starr an. »Um zu spüren, dass ich lebe.«
Sie fühlte, wie ihr Mund trocken wurde.
»Es ist mein Ventil. Meine Methode, um zu verhindern, dass ich völlig durchdrehe. Um nicht abzustumpfen.«
»Was für Kriminelle sind denn das, von denen du da redest?«, wollte sie wissen.
Er schluckte und rieb sich über die Augenbrauen.
»Sil?«
»Die ganz Harten. Die richtig schweren Jungs.«
»Aber diesmal …«
»Diesmal ist es schiefgegangen. Sie hätten mich beinahe erwischt.«
»Und … und warum ziehst du mich da mit hinein?«
Seine Augen verengten sich. Er wandte den Blick ab und starrte auf einen imaginären Punkt hinter ihr in einer Ecke des Zimmers.
Die Worte kamen leise, fast unverständlich aus seinem Mund. Sie musste sich Mühe geben, ihn zu verstehen.
»Es kann sein, dass sie von dir wissen, Susan. Ich bin mir nicht sicher. Aber ich will dich nicht unnötig in Gefahr bringen. Du solltest lieber hierbleiben.«
Entsetzt starrte sie ihn an. »Was sind das für Leute, Sil?«
Er erwiderte eindringlich ihren Blick. »Russen. Die russische Mafia.«
Sie hatte das Gefühl, als versinke sie ganz langsam in einer Wanne voller Skorpione. Heute Mittag erst war sie aus Norwegen zurückgekehrt, und ihre größte Sorge war es gewesen, rechtzeitig das Fotomaterial für eine Reportage über Skiurlaub im norwegischen Hemsedal abzugeben und Bier zu holen für den Fall, dass Reno vorbeikam. Oder Sven. Und jetzt, keine vier Stunden später, wurde sie plötzlich von der russischen Mafia bedroht.
Sil setzte sich neben sie und schlang einen Arm um ihr Bein. Sie schüttelte ihn mit einer gereizten Bewegung ab und schaute ihn wütend an. Sah den intensiven Blick in seinen Augen. Er versuchte, zu ihr durchzudringen. In sie hineinzuschauen. Er wollte wissen, was in ihr vorging.
Sie ließ es nicht zu. Wandte ihren Blick ab. In ihr wütete ein Orkan. Sie hatte geglaubt, ihn in- und auswendig zu kennen, und nun stellte sich heraus, dass er ihr völlig fremd war. Die Wände des Zimmers schienen auf sie zuzukommen. Plötzlich wollte sie nur noch weg.
»Ich brauche Zeit, um darüber nachzudenken«, sagte sie und stand auf. »Ich fahre jetzt nach Hause.«
Er sprang auf und drückte sie zurück auf das Bett.
»Nein«, sagte er. »Du kannst nicht zurück nach Hause.«
»O doch. Ich werde einfach gehen und wage es nicht, mich aufzuhalten!«
Wieder versuchte sie aufzustehen, aber er hielt sie am Arm fest. »Ich will nicht, dass du gehst!«
Streitsüchtig fuhr sie ihn an: »Das ist dein Problem! Du bist einfach krank, weißt du das? Krank!«
»Du bist genauso krank wie ich, Susan, wenn du es so ausdrücken willst«, erwiderte er. Seine Stimme klang heiser. »Du weißt es selbst nur noch nicht.«
Sie wurde aggressiv. »Vergleiche mich bloß nicht mit dir! Vielleicht bin ich in vieler Hinsicht ein bisschen daneben, aber solche bescheuerten Hobbys wie du habe ich noch lange nicht!«
Sie marschierte zur Tür, aber als sie nach dem Türknauf griff, riss Sil sie zurück. Sie schaute genau in den Lauf einer Pistole.
»Ich sage es jetzt noch einmal. Du bleibst hier!«
Sie erschrak maßlos. Ihre Augen wurden geradezu magnetisch von der Mündung der Waffe angezogen. Eine falsche Bewegung, ein Krampf, ein Muskelzucken, und ihr Leben würde an diesem Punkt enden. Wie versteinert blieb sie stehen. Unglaube und Angst zeichneten sich auf ihrem Gesicht ab. Im nächsten Moment wurde sie an die Wand gepresst, mit dem Gesicht zu der vergilbten Tapete. Wie ein Schraubstock hielt er mit einer Hand ihre Haare gepackt. Er zog ihr den Kopf in den Nacken.
»Au, du tust mir weh! Bitte lass mich gehen!«
»Du gehst nirgendwo hin!«
Sie fühlte das kalte Metall der Pistole an ihrer Schläfe. Ihr Atem ging schneller, sie zitterte am ganzen Körper, und ihr Herz hämmerte laut
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