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Verraten

Verraten

Titel: Verraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Verhoef , Berry Escober
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würdest mich besser kennen.«
    Sie musterte seine heruntergekommene Kleidung, den Stoppelbart, die Wunden und die roten Ränder um seine Augen. So, wie er hier vor ihr saß, war er für sie das Musterbeispiel eines verzweifelten Versagers.
    »Was denn dann? Brichst du bei Juwelieren ein? In Museen? Mein Gott, Sil, auf so was habe ich wirklich keine Lust.«
    Sie machte Anstalten zu gehen, aber er war schneller und drückte sie mit Gewalt wieder hinunter auf das Bett. Stellte sich vor sie, die Hände auf ihre Schultern gelegt.
    »Hör mir zu!« Er schrie sie fast an. Als ihm bewusst wurde, wie er sich benahm, zog er die Hände von ihren Schultern weg.
    »Jetzt hör mir doch erst mal zu«, wiederholte er in ruhigerem Tonfall. »So etwas würde ich niemals tun, Susan, niemals. Ich bestehle keine unschuldigen Leute. Wie kannst du so etwas von mir denken! Du kennst mich doch! Du kennst mich besser als irgendjemand sonst.«
    Sie schaute ihn weiterhin zornig an. Sie wusste nicht, auf wen sie wütender war, auf ihn oder auf sich selbst. Wahrscheinlich Letzteres.
    »Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll«, sagte sie mit zitternder Stimme. »Ich dachte … Ich dachte, ich würde dich kennen. Aber …«
    »Du kennst mich auch. Du weißt nur nicht über alles Bescheid, was ich tue. Aber ich möchte es dir gern erzählen. Wenn du mich lässt. Wenn du wirklich bereit bist, mir zuzuhören. Ich will dir alles erzählen, Susan. Nichts lieber als das. Aber nicht, wenn du mich weiterhin so finster anschaust.«
    Susan überlegte. Er wirkte so aufrichtig. Energisch. Innerlich gefestigt. Strahlte Wärme aus. Weisheit. Kraft. All die Eigenschaften, die ihr die letzten zwei Jahre den Schlaf geraubt hatten. Und er wollte ein Krimineller sein?
    »Gut, ich höre dir zu«, versprach sie, wenn auch immer noch misstrauisch.
    Er nickte. Setzte sich vor sie auf den Boden, den Rücken an die Wand gelehnt, die Ellbogen auf den Knien.
    Das wenige Licht, das durch die Gardinen hereinfiel, erhellte sein Gesicht auf bizarre Weise. Die rechte Hälfte lag im Schatten, seine blauen Augen leuchteten. Sie hätte ihn am liebsten fotografiert. Es wäre eine fantastische Aufnahme geworden. Wie er so dasaß, vor der vergilbten Blümchentapete, mit seinen Wunden und dem skeptischen Gesichtsausdruck, strahlte er eine große innere Kraft aus. Sie war sich sicher, dass sie diese Ausstrahlung auf ein Schwarz-Weiß-Foto bannen könnte. Sie würde ein 28-Millimeter-Objektiv benutzen, mit dem sie alle vier Zimmerecken draufbekäme. Durch das Objektiv würde die Wand mit ihren Strukturen auf surrealistische Weise verzerrt und Sil zum dramatischen Mittelpunkt erhoben. Alles, was sie bräuchte, wäre ihre Minolta, ein 28-Millimeter-Objektiv und ein 800-Iso-Film.
    Susan sah die Welt oft wie durch eine Kamera. Es beruhigte sie. Jede Situation wurde übersichtlicher, wenn man sie als Fotografie betrachtete. Wenn man einen Ausschnitt aus der Wirklichkeit herausnahm, außerhalb dessen nichts existierte. Wenn man den Blick fest auf Äußerlichkeiten richtete. Hinter nichts anderem konnte man sich so gut verstecken wie hinter einer Kamera. Bildausschnitte, der richtige Winkel, Beleuchtung, Technik und zahllose andere Dinge, auf die man sich konzentrieren musste, machten es unmöglich, an etwas anderes zu denken. Klick! und weg. Fange deine Gefühle auf Papier ein, und du kannst sie in eine Schublade legen. Dort haben sie ihren Platz, und du kannst sie vergessen. Auf diese Weise hielten sich Kriegsfotografen trotz der schrecklichen Szenen, die sie erlebten, seelisch über Wasser. Aber in diesem Moment hatte Susan keine Kamera bei sich. Keinen Puffer.
    »Ich suche mir meine Zielobjekte sorgfältig aus«, begann er. »Es handelt sich immer um Personen, die genau wissen, dass sie mit dem Feuer spielen. Es sind Kriminelle, Susan. Nicht selten beobachte ich sie vorher monatelang, damit ich mir meiner Sache absolut sicher sein kann. Glaub mir, das sind alles keine braven Bürger.«
    Sie nahm sich Zeit, seine Worte abzuwägen. »Du bestiehlst also Kriminelle.«
    Er nickte.
    »Du raubst ihnen Geld?«
    Wieder nickte er.
    »Warum denn? Du hast doch Geld genug?«
    Er griff nach dem Päckchen Zigaretten, das neben ihm auf dem Boden lag. Zündete sich eine neue Zigarette an. Er musste wahnsinnig nervös sein. Und es musste einen guten Grund dafür geben.
    »Ich tue es nicht des Geldes wegen«, erwiderte er und zog an seiner Zigarette. »Das Geld ist Nebensache. Eine Trophäe. Nichts

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