Verr�ter wie wir
Vater, Protestant, Freidenker und militanter Pazifist, gegen alles Böse dieser Welt von Atomwaffen bis hin zum Irakkrieg demonstriert, geschrieben und gewettert hatte und dafür mehr als einmal in einer Gefängniszelle gelandet war?
Oder dass sein Großvater väterlicherseits, gelernter Maurer und bekennender Sozialist, im Spanischen Bürgerkrieg auf der Seite der Republikaner gekämpft und ein Bein und ein Auge verloren hatte?
Oder dass Siobhan, die irische Perle der Familie Makepiece, die zwanzig Jahre lang vier Stunden wöchentlich bei ihnen geschaltet und gewaltet hatte, von der Polizei in Hertfordshire so unter Druck gesetzt worden war, dass sie in regelmäßigen Abständen den Inhalt von Perrys Vaters Papierkorb einem Zivilfahnder auslieferte – eine solche Gewissenslast für sie, dass sie die ganze Geschichte eines Tages wild schluchzend Perrys Mutter beichtete und danach keinen Fuß mehr in die Nähe des Hauses setzte, sosehr seine Mutter sie auch beschwor?
Oder dass Perry selbst vor einem knappen Monat eine ganzseitige Anzeige für die Oxford Times entworfen hatte, federführend für einen hastig von ihm aus dem Boden gestampften Verein, der sich »Akademiker gegen Folter« nannte und zu Protesten gegen Englands Geheimregierung und die schleichende Unterhöhlung unserer schwer erkämpften bürgerlichen Freiheitsrechte aufrief?
Nun, für Perry hatte das alles extrem viel gezählt.
Und es zählte noch immer, als er nach seiner langen Nachtder Unschlüssigkeit Schlag acht mit einem Ringbuch unterm Arm voll Todesverachtung den Innenhof des altehrwürdigen Colleges überquerte, dem er bald für immer den Rücken kehren würde, und die wurmstichige Treppe zu den Räumen von Studiendekan Dr. jur. Basil Flynn erklomm, kaum zehn Minuten nachdem er ihn um eine kurze Unterredung in einer privaten und vertraulichen Angelegenheit ersucht hatte.
* * *
Nur drei Jahre trennten die beiden Männer, aber für Perry war Flynn schon jetzt der Sitzungshengst par excellence. »Ich könnte Sie reinschieben, aber dann müssten Sie jetzt sofort kommen«, hatte er wichtig gesagt, »um neun habe ich Ratssitzung, und die ziehen sich erfahrungsgemäß hin.« Er trug einen dunklen Anzug und schwarze Schuhe mit polierten Seitenschnallen. Einzig das sorgfältig gebürstete schulterlange Haar hob ihn aus der vollständigen Konformität heraus. Perry hatte sich keinen Einstieg für das Gespräch mit Flynn zurechtgelegt, und sein Eröffnungssatz, das musste er rückblickend einräumen, war etwas unbedacht:
»Sie haben im Frühjahr einem Studenten von mir Avancen gemacht«, platzte er heraus, kaum dass er über die Schwelle war.
»Ich habe was? «
»Halbägypter. Dick Benson. Ägyptische Mutter, englischer Vater. Spricht arabisch. Er wollte ein Forschungsstipendium, aber Sie haben ihm stattdessen nahegelegt, sich an gewisse Bekannte von Ihnen in London zu wenden. Er hat nicht verstanden, was Sie meinen. Er hat mich um Rat gefragt.«
»Und wie lautete der?«
»Nichts zu überstürzen, wenn die Bekannten in London dieseien, die ich vermutete. Am liebsten hätte ich ihm gesagt, meiden Sie sie wie die Pest, aber so weit wollte ich denn doch nicht gehen. Es war seine Entscheidung, nicht meine. Stimmt meine Vermutung?«
»Welche?«
»Dass Sie Leute für sie anwerben. Für sie auf Talentsuche gehen.«
»Und mit ›sie‹ meinen Sie wen?«
»Die Spione. Dick Benson wusste nicht, wovon Sie reden, woher soll ich es also wissen? Ich will Ihnen nicht an den Karren fahren. Ich frage lediglich. Stimmt es? Dass Sie mit ihnen in Kontakt sind? Oder leidet Benson an Wahnvorstellungen?«
»Warum sind Sie hier und was wollen Sie?«
An diesem Punkt wäre Perry beinahe gegangen. Hinterher wünschte er, er hätte es getan. Er drehte sich um und machte einen Schritt zur Tür, dann riss er sich zusammen und kam zurück.
»Ich muss mit Ihren Bekannten in London Kontakt aufnehmen«, sagte er, das rote Ringbuch immer noch unterm Arm, und wartete auf die Frage »Warum?«.
»Wollen Sie Spion werden? Gut, heutzutage nehmen die fast jeden, aber …«
Wieder juckte es Perry, einfach zu gehen. Wieder wünschte er hinterher, er hätte es getan. Aber nein, er beherrschte sich, er atmete tief durch, und diesmal fand er die richtigen Worte.
»Ich bin zufällig auf gewisse Informationen gestoßen« – seine langen, nervösen Finger klopften leicht auf die Ringbindung, die ping machte. »Informationen, die ich ohne mein Zutun und gegen meinen Willen erlangt
Weitere Kostenlose Bücher