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Verr�ter wie wir

Titel: Verr�ter wie wir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carr�
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gedrückt und ihr befohlen, mit ihm zu sprechen. Nein, Unsinn. Sie ist allein. Und es ist Perry in Echtzeit, kein Flashback, und sie steht nach wie vor mit der Hand am Fensterrahmen abgestützt und starrt hinunter auf die Straße.
    »Hör zu. Tut mir leid, dass es so spät ist und alles.«
    Alles?
    »Hector will uns beide morgen früh um neun sprechen.«
    »Hector?«
    »Ja.«
    Ganz ruhig. Wenn um dich der Wahnsinn tobt, halt dich an die Fakten. »Das geht nicht. Ich weiß, es ist Sonntag, aber ich muss ins Büro. Samson gegen Samson schläft nie.«
    »Dann ruf an und sag, dass du krank bist. Es ist wichtig, Gail. Noch wichtiger als Samson gegen Samson . Im Ernst.«
    »Sagt das Hector?«
    »Wir beide sagen das, Gail.«

6
    »Sein Name wird übrigens Hector sein«, sagte der kundige kleine Luke mit einem flüchtigen Aufblicken von seinem Exemplar des braunen Aktenordners.
    »Ist das eine Warnung oder göttliche Prophezeiung?«, kam es von Perry hinter den Händen hervor, eine gute Weile, nachdem Luke es aufgegeben hatte, auf eine Antwort zu warten.
    In der halben Ewigkeit seit Gails Aufbruch hatte Perry bewegungslos am Tisch gesessen – hatte weder den Kopf gehoben noch sich von seinem Platz neben ihrem leeren Stuhl weggerührt.
    »Wo ist Yvonne?«
    »Heimgegangen«, sagte Luke, wieder über seinen Ordner gebeugt.
    »Freiwillig oder mit ein bisschen Nachhilfe?«
    Keine Antwort.
    »Ist Hector Ihr Oberboss?«
    »Sagen wir, ich bin zweite Liga und er erste« – er applizierte ein Bleistifthäkchen.
    »Dann ist Hector also Ihr Vorgesetzter?«
    »Auch eine Art, es auszudrücken.«
    Und auch eine Art, eine Antwort zu umschiffen.
    Wobei Perry zugeben musste, dass sich mit Luke, soweit er das bisher beurteilen konnte, durchaus klarkommen ließ. Kein Überflieger, gut. Ein Zweitligist, wie er von sich selbstsagte. Ein bisschen geziert vielleicht, ein bisschen elitär, aber doch ein verlässlicher Partner am Seil.
    »Hat Hector jetzt mitgehört?«
    »Ich nehme es an.«
    »Und uns zugesehen?«
    »Manchmal ist Hören allein besser. Wie bei einem Hörspiel.« Und nach einer Pause. »Tolle Frau, Ihre Gail. Sind Sie schon lange zusammen?«
    »Fünf Jahre.«
    »Wahnsinn.«
    »Was heißt Wahnsinn?«
    »Na ja, mir geht’s wohl ein bisschen wie Dima: Heiraten Sie sie lieber schnell.«
    Das war Sperrgebiet, und Perry war drauf und dran, ihn das auch wissen zu lassen, verzieh ihm dann aber.
    »Wie lange machen Sie diesen Job schon?«, fragte er stattdessen.
    »Rund zwanzig Jahre.«
    »Inland oder Ausland?«
    »Ausland hauptsächlich.«
    »Und verbiegt einen das?«
    »Wie bitte?«
    »Die Arbeit. Verformt sie den Charakter? Beobachten Sie an sich – na ja – eine déformation professionelle? «
    »Sie meinen, ob ich einen Hau habe?«
    »Nichts so Drastisches. Nur – ja, wie es sich eben auf lange Sicht auf Sie auswirkt.«
    Lukes Kopf blieb gebeugt, aber sein Bleistift wanderte nicht mehr herum, und die Reglosigkeit hatte etwas Herausforderndes.
    »Auf lange Sicht? «, wiederholte er in gesuchter Verwirrtheit. »Auf lange Sicht müssen wir alle sterben, dachte ich immer.«
    »Ich meinte mehr, wie geht es einem damit, ein Land zu vertreten, das seine Rechnungen nicht bezahlen kann?«, erläutertePerry, ehe ihm klarwurde, dass er sich hier auf schwankenden Boden begab. »Nachdem unsere gute Geheimdienstarbeit so ungefähr das Einzige ist, was uns dieser Tage noch internationale Anerkennung verschafft – hab ich jedenfalls irgendwo gelesen«, ruderte er weiter. »Muss doch ziemlich belastend für die Leute sein, die diese Arbeit ganz konkret leisten, denke ich mir. Boxen in einer zu hohen Gewichtsklasse sozusagen«, setzte er hinzu und hätte sich am liebsten die Zunge abgebissen, als ihm aufging, wie sich das für den zierlichen Luke anhören musste.
    Ihr gequälter Small Talk wurde durch ein langsames, wei-ches Tappen unterbrochen, als schlurften oben Filzpantoffeln über den Boden und kämen dann vorsichtig die Kellertreppe herunter. Wie auf Kommando stand Luke auf, trat an ein Sideboard, nahm ein Tablett mit Malt, Mineralwasser und drei Gläsern und stellte es auf den Tisch.
    Die Schritte erreichten den Fuß der Treppe. Die Tür öffnete sich. Perry erhob sich unwillkürlich. Eine wechselseitige Musterung folgte. Die zwei Männer waren gleich groß, was für beide ungewöhnlich war. Ohne seine gebückte Haltung wäre Hector vielleicht sogar der Größere gewesen. Mit seiner klassisch breiten Stirn und dem wallenden weißen Haar, das

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