Verruchte Lady
Adresse. »Das reicht. Vielen Dank, Sir. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte. Ich habe noch eine Menge Arbeit.«
»Arbeit?« Egan sah beunruhigter aus als je zuvor. »Was für Arbeit? Woll’n Sie uns etwa doch dem Richter melden?«
»Nein, ich habe Wichtigeres zu tun.« Gabriel steckte den Brief in die Tasche und ging zur Tür. »Ob es mir nun gefällt oder nicht, anscheinend habe ich soeben eine heilige Mission übernommen.«
Fünf Tage später saß Gabriel allein in dem Turmzimmer, das er als Arbeitszimmer benutzte. Seine rechte Schulter schmerzte, aber das war nicht ungewöhnlich. Manchmal reagierte die alte Wunde auf feuchtes Wetter und auf die Anspannung, wenn er lange schrieb.
Wichtig war nur, daß die Worte heute morgen spielend aus seiner Feder flossen. Sein zweiter Roman, den er Ein gewagtes Abenteuer genannt hatte, nahm allmählich Form an. Seine Feder glitt mühelos über das Papier, als er seinen jüngsten Helden in den Kampf gegen einen bösen Schurken schickte. Es ging um ein beträchtliches Erbe und um die Liebe einer holden Jungfrau.
In den Geschichten, die Gabriel schrieb, gab sich die holde Jungfrau immer einem edlen Narren hin, der naiv genug war, für sie in den Kampf zu ziehen.
Gabriel war sich durchaus bewußt, daß die Dinge sich im wahren Leben meistens anders verhielten. Ein Mann, der den Versprechungen einer holden Jungfrau Glauben schenkte, war ein Idiot.
Bereits vor langer Zeit hatte er gelernt, daß Geld, ein Titel und gesellschaftliches Ansehen bedeutend wichtiger als ein edles Herz und ein ritterliches Benehmen waren, wenn ein Mann hoffte, das Interesse einer holden oder auch weniger holden Jungfrau zu wecken. Die schöne Meredith Layton, Tochter des brillanten, mächtigen Grafen von Clarington, hatte ihn dies gelehrt. Und er hatte es niemals vergessen.
Der Graf hatte Gabriel auf das härteste dafür bestraft, daß er versucht hatte, Meredith vor einer arrangierten Ehe mit dem Marquis von Trowbridge zu retten. Innerhalb weniger Tage nach dem mißlungenen Rettungsversuch hatte Clarington Gabriel finanziell ruiniert.
Die Männer, die Gabriel überredet hatte, ihn beim Aufbau eines kleinen, aber wahrscheinlich lukrativen Schiffahrtsunternehmens zu unterstützen, waren seltsamerweise alle vom Vertrag zurückgetreten, nachdem Clarington mit ihnen gesprochen hatte. Sie forderten, daß er ihnen umgehend ihr Geld zurückzahlen sollte. Zu gleicher Zeit wurde das Darlehen, das Gabriel für den Kauf eines Hauses in London aufgenommen hatte, fällig. Clarington hatte dem Investor Anweisung erteilt, sein Geld zurückzuverlangen.
Beides zusammen hatte katastrophale Folgen gehabt. Gabriel war gezwungen gewesen, so gut wie alles, was er besaß, zu verkaufen, um die Schulden bezahlen zu können - selbst seine geliebten Bücher. Am Ende hatte er gerade noch genug Geld gehabt, um eine Kabine an Bord eines Schiffes Richtung Südsee zu buchen.
Da er in England keine Zukunft mehr für sich gesehen hatte, war Gabriel zu den Inseln aufgebrochen, von denen es hieß, daß ein Mann dort neue Träume träumen konnte.
Mit grimmiger Zufriedenheit sagte er sich, daß er die letzten acht Jahre damit verbracht hatte, solch unnötigen Ballast wie ein edles Herz und eine ritterliche Natur abzuwerfen. Er hatte sich geschworen, nie wieder seinen Gefühlen zu trauen, und hatte im Schweiße seines Angesichts in der Südsee ein Vermögen mit Perlenhandel gemacht. Das Unternehmen hatte ihn mehr als einmal beinahe das Leben gekostet, aber er hatte es überstanden und war reich geworden.
Während der Zeit auf den Inseln hatte er die aggressiven, ehrgeizigen Amerikaner kennengelernt, deren Schiffe inzwischen auf der ganzen Welt herumfuhren. Er hatte diese Kontakte genutzt und ein eigenes Unternehmen aufgebaut. Seine Schiffe fuhren inzwischen regelmäßig auf den Handelsrouten zwischen England und Amerika.
In den Jahren in der Südsee hatte Gabriel auch andere bittere Wahrheiten gelernt. Er hatte erfahren, daß im Leben Illusionen die Regel waren und nicht die Ausnahme. Die Menschen waren selten das, als was sie sich ausgaben, und nur wenige Männer hielten sich an den Verhaltenskodex, der für die Ritter in den Artussagen gegolten hatte.
Die Welt war ein Ort, an dem Halsabschneider in der Maske von Gentlemen auftraten und in der die Frauen die Männer betrogen, denen sie ewige Liebe geschworen hatten.
Wollte man inmitten solcher Gefahren überleben, so mußte man Eis in den Adern haben und durfte keine allzu
Weitere Kostenlose Bücher