Verruchte Lady
zusammen mit seinen anderen weltlichen Besitztümern zurückgelassen, als er England verlassen hatte. Aber vor zwei Jahren, als er beschlossen hatte, einen ernsthaften Roman zu schreiben, waren ihm diese frühen Versuche wieder eingefallen.
Die Ritter der Tafelrunde waren die passende Gesellschaft für einen jungen Mann gewesen. Unglücklicherweise hatten sie ihm nicht zeigen können, wie hart das wahre Leben war. Das hatte er selbst lernen müssen.
Gabriel hatte seine Burg kurz nach seiner Rückkehr nach England gekauft. Irgend etwas an den herrlichen Türmen hatte ihn angezogen. Wenn er aus den schmalen Fenstern blickte, meinte er beinahe, echte Ritter in voller Rüstung zu sehen, die auf riesigen Streitrössern durch die massiven Tore zogen.
Seine Burg war nicht der sinnlose Prachtbau eines reichen Mannes wie so viele andere große Häuser. Sie war im dreizehnten Jahrhundert als echte Trutzburg erbaut worden, deren Herr offenbar eine Vorliebe für Geheimgänge und Türen mit versteckten Öffnungsmechanismen gehabt hatte. Nach seinem Einzug hatte Gabriel Wochen mit der Erforschung der Katakomben unter der Burg verbracht. Das Projekt hatte ihm viele gute Ideen für seinen jüngsten Roman gegeben.
Gabriel stieg eine zweite gewundene Steintreppe hinab und betrat einen breiten Flur. Rollins, der Butler, trat aus einer Tür.
»Mylord, die Post ist da.« Auf dem Tablett, das Rollins ihm mit würdevollem Ernst hinhielt, lag nur ein einziger Brief. Er bekam nie viel Post. Die meisten Briefe in der letzten Zeit waren von der verschleierten Lady gewesen.
Gabriel blieb unter einem besonders fein gearbeiteten Kampfschild aus dem dreizehnten Jahrhundert stehen, der neben anderen von der Decke herabhing. »Danke, Rollins. Ich werde ihn während meines Spaziergangs lesen.«
»Sehr wohl, Sir.« Rollins wandte sich um und schritt zwischen zwei auf Hochglanz polierten Rüstungen hindurch. Am anderen Ende des Flurs öffnete er die riesigen Türen.
Das Motto, das über den Türen in den Stein eingraviert war, hatte es noch nicht gegeben, als Gabriel die Burg gekauft hatte. Er hatte es kurz nach seinem Einzug in Auftrag gegeben. Gabriel war zufrieden damit. Es war kurz und bündig.
AUDEO. Latein für »Ich wage«.
Es war nicht der traditionelle Wahlspruch der Grafen von Wylde. Es gab keinen. Gabriel hatte dieses Motto für sich und seine Erben gewählt. Nun, da ihm der Titel zugefallen war, hatte er auch die Absicht, ihn zu behalten und weiterzugeben.
Ihm kam der Gedanke, daß die verschleierte Lady bei all ihren Fehlern auf jeden Fall dem Wyldeschen Motto entsprach.
Beim Hinausgehen sah Gabriel auf den Brief, den er gerade erhalten hatte. Eine gewisse Erregung flackerte in ihm auf. Das Schreiben war von seinem Londoner Anwalt. Mit etwas Glück würde es die Information enthalten, auf die er gewartet hatte.
Die Welt der Anwälte war klein, und wie in jeder anderen Welt spielte Geld dort eine bedeutende Rolle. Gabriel war sich sicher gewesen, daß sein Mann Peak, den Anwalt, der die Angelegenheiten der verschleierten Lady regelte, kannte. Es konnte nicht allzu viele Frauen in London geben, die mittelalterliche Bücher sammelten.
Während er die Steintreppe hinunterging, riß er den Brief auf. Der Name, der ihm von dem Blatt entgegensprang, ließ ihn erstarren. Noch während er das Papier ansah, wallte Zorn in ihm auf.
Lady Phoebe Layton, jüngste Tochter des Grafen von Clarington.
»Verdammt.« Gabriel traute seinen Augen nicht. Er war wutentbrannt. Seine geheimnisvolle, faszinierende verschleierte Lady war niemand anderes als Claringtons jüngster Sprößling.
Gabriel zerknüllte den Brief in seiner Hand.
Die jüngste Tochter. Nicht diejenige, die ihn vor acht Jahren angefleht hatte, sie vor einer arrangierten Ehe zu retten. Nicht diejenige, deretwegen Claringtons Sohn ihn bei einem Duell beinahe umgebracht hatte. Die andere. Diejenige, der er noch nie begegnet war, weil sie damals noch ein Schulmädchen gewesen war.
Sie konnte nicht älter als sechzehn gewesen sein, als Clarington Gabriel in den Ruin getrieben und gezwungen hatte, England zu verlassen. Sie mußte noch ein junges Mädchen gewesen sein, als Gabriel sich genötigt sah, die Bibliothek seines Vaters, sein einziges Erbe, zu verkaufen, um zu überleben.
Es war acht Jahre her. Und die verschleierte Lady war höchstens vierundzwanzig. Ja, es paßte alles genau.
»Verflucht«, knurrte Gabriel mit zusammengebissenen Zähnen. Er stapfte über den Hof und
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