Verruchte Nächte - One Night with a Spy (03 Royal-Four)
halten.« Er lächelte säuerlich. »Ich habe gelernt, nicht alles, was die Vier mir erzählen, vorbehaltlos zu glauben. Es hat in letzter Zeit zu viele Verluste gegeben - und vereitelte Verluste …« Er schaute Clara an, und aus seinen Augen sprach flammende Liebe. Dann wandte er sich wieder an Julia. »Wie Ihr, so unterhalte auch ich meinen eigenen Geheimdienst.«
Als Julia die Wärme, die Lord und Lady Etheridge umgab, verließ, bemerkte sie umso mehr die Kälte draußen. Sie holte sich ihr erholtes Pferd und suchte sich ihren Weg durch die Nebenstraßen Londons. Sie brannte darauf, die Stadt hinter sich zu lassen, aber sie war sich unsicher, wohin sie sich wenden sollte.
Das Einzige, dessen sie sich sicher war, war die Tatsache, dass der Weg nach Barrowby für sie versperrt war.
Sie ritt den ganzen Tag auf der Great Road gen Norden, immer auf der Ausschau nach Zirkusleuten, aber sie sah niemanden. Auch war sie sich nicht länger sicher, ob sie überhaupt zu ihnen zurückkehren konnte.
Es musste einen Platz für sie geben auf dieser Welt. Sie wünschte sich nur, sie wüsste, wo er war.
Sie fand sich auf einer Straße nach Norden wieder und schimpfte sich eine Närrin. Was glaubte sie wohl, dass Derbyshire ihr zu bieten hatte? Außer der guten Gelegenheit, von den Royal Four gefasst zu werden?
Ihre freudlosen Gedanken wurden von der Beobachtung unterbrochen, dass der Hengst seinen lustlosen Schritt aufgegeben hatte und jetzt Büschel trockenen Grases vom Straßenrand fraß. Sie zog seinen Kopf hoch. »Du bekommst heute Abend deinen Hafer«, sagte sie beruhigend. Wenn sie ihm jetzt seinen Willen ließ, wäre sie nie mehr in der Lage, ihn zu kontrollieren.
Er war sowieso ein viel zu edles Pferd für eine von der Armut gezeichnete Hausiererin wie sie. Sie würde gut daran tun, ihn an den nächsten Gastwirt zu verkaufen und sich ein weniger auffälliges Pferd zu kaufen.
Aber Marcus liebt ihn so sehr.
»Was überhaupt nichts zur Sache tut«, erinnerte sie sich selbst. Wenn sie den Hengst verkaufen musste, dann würde sie es tun. Sie sah einfach noch nicht die Notwendigkeit, ihn jetzt schon loszuwerden.
Sie hörte Hufgetrappel hinter sich und drehte sich um. Da war noch jemand unterwegs. Obschon sie sich auf einer Poststraße befand, die die meiste Zeit im Jahr stark frequentiert wurde, so hatte sie doch seit Stunden keine Menschenseele mehr gesehen.
Wer auch immer es war, er wollte offenbar auch lieber woanders sein. Das Pferd kam jedenfalls schnell näher. Sie beschloss, den Hengst grasen zu lassen, damit der Reiter sie überholte, denn je weniger Zeit jemand hatte, sie auf ihrem edlen Tier zu sehen, desto geringer war die Gefahr, dass er sich später an sie erinnerte.
Der Hengst widmete sich mit ganzem Herzen dem grasbewachsenen Seitenstreifen, und der andere Reisende hatte sie binnen weniger Augenblicke eingeholt.
Der andere Reiter war riesig; ein Hüne auf einem Pferd, das fast die Größe eines Zugpferdes hatte. Julia verspürte einen Moment natürlicher Vorsicht, mit einer solchen Person allein auf der Straße unterwegs zu sein, bis sie das narbige Gesicht unter dem Rand des groben Hutes erkannte.
Da schoss ihr eisiger Schrecken in die Glieder. Kurt, der Attentäter des Liar’s Club, sah ihr direkt in die Augen.
Julia blickte schnell zu Boden und ließ die Kapuze ihres Mantels ihre Augen verhüllen. Ihr Haar war bedeckt, und ihre nicht passende Kleidung tarnte ihre Figur. Mit etwas Glück würde Kurt sie nur für eine ziemlich füllige alte Frau halten.
Das größere Pferd passierte sie mit einem grüßenden Schnauben, und Julia konnte an dem Hufschlag hören, wie der Abstand zwischen ihnen größer wurde. Sie hielt den Atem an und zügelte ihre Panik, bis sie das andere Pferd nicht mehr hören konnte. Erst dann wagte sie es, aufzuschauen.
Der hünenhafte Reiter hatte sein Pferd mitten auf der Straße angehalten und starrte zu ihr zurück. Unter ihrem Blick wendete er sein Pferd und trieb es zum Galopp an.
Nein!
Die Absätze ihrer Stiefel trafen die Flanken des Hengstes mit der ganzen Kraft, die noch in ihr steckte. Das Pferd wirbelte überrascht aufwiehernd herum und streckte seine Vollblüterbeine in einem rasenden Galopp, der Julia die Luft zum Atmen nahm.
Sie beugte sich tief über seinen Hals und krallte die Finger in seine Mähne. Sie war kleiner und leichter und ihr Pferd hatte das Blut von Rennpferden in seinen Adern, aber Kurt konnte mit seinen Wurfmessern eine Fliege aus dreißig
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