Verruchte Nächte - One Night with a Spy (03 Royal-Four)
Metern Entfernung aufspießen!
Ein kleineres Ziel hat bessere Chancen.
Der Gedanke war ihr kaum gekommen, da war sie auch schon aus dem Sattel und hing auf der ihrem Verfolger abgewandten Seite des großen, sich streckenden Pferderumpfes, nur ein Bein Halt suchend über den Rücken gelegt. Der Hengst war von ihrer plötzlichen unerwarteten Gewichtsverlagerung überrascht und drosselte beinahe das Tempo.
»Los!«, schrie sie ihm direkt in sein zierliches Ohr. Er zuckte und strengte sich wieder mehr an. Wahrscheinlich hoffte er, seinem verrückten Reiter auf diese Art zu entkommen. Sie klammerte sich wie eine Fliege an seine Seite und hob den Kopf, um hinter sich zu sehen.
Ihr riesiger Verfolger war genauso schnell, trotz Kurts größerem Gewicht. Sie konnte es kaum glauben. Wenn es ein Pferd gab, das schneller war als das mächtige Tier des Attentäters, dann war das Marcus’ Hengst. Kurt hatte sein Pferd wahrscheinlich den ganzen Tag über nicht gerade geschont, dass er sie so schnell eingeholt hatte, nachdem Lord Etheridge ihren Besuch gemeldet hatte.
Wie sehr Marcus diese Entscheidung gehasst haben musste - aber er hatte sie getroffen. Er war wirklich ein besserer Fuchs als sie, denn sie war sich nicht sicher, ob sie jemanden, den sie mochte, hätte umbringen lassen können, ganz
egal, wie groß das Sicherheitsrisiko sein mochte, das diese Person darstellte.
Unglücklicherweise würde sie nicht lange genug leben, um diese Frage zu beantworten. Der Hengst hielt seinen kraftvollen Galopp bei, aber so auch ihr Verfolger. Sie hatte keinen Vorsprung gewonnen; es war ein Rennen zwischen gleichen, bis ihr Pferd tot umfallen und Kurt sie töten würde.
Ein irres Kichern stieg aus Julias schmerzender Lunge empor. Oje. Sie hatte schon wieder dieses Jilly-Gefühl.
Aber dann: Was hatte sie zu verlieren?
Sie setzte sich im Sattel zurecht und lenkte den Hengst von der Straße in wildem Galopp in den Wald.
Sie schaute sich nicht um, obschon sie an dem krachenden Hufschlag hinter sich erkannte, dass sie ihren Verfolger nicht abgeschüttelt hatte. Sie beugte sich tief über den Hals des Hengstes und betete, dass sie beide sich irgendwie durch den Wald zwängen und so ihre viel größeren Verfolger abhängen konnten.
Leider wurde der Baumbestand immer dünner, und bald schon galoppierten sie über offenes Weideland. Der Hengst nahm Steinwall nach Steinwall, bergauf und bergab, galoppierte durch Schafherden, deren protestierendes Mähen sich im Wind verlor. Immer noch hielt der Attentäter Schritt.
Der Hengst wurde langsam müde. In einem Akt der Verzweiflung lenkte ihn Julia zu einer Mauer, die zu hoch für das Zugpferd war.
Sie war auch zu hoch für den Hengst. Sie stürzten, wobei sie einen Großteil der Mauer mit sich rissen. Julia warf sich auf eine Seite. Das Pferd landete schwer und taumelte. Julia landete schlecht. Ein stechender Schmerz schoss ihr ins Fußgelenk.
Das große Pferd sprang mit Leichtigkeit durch die Lücke, die sie geschaffen hatten, und kam schnaubend vor ihr zum
Stehen. Verzweifelt wich sie zurück, unfähig zu rennen, ja, unfähig, nach Hilfe zu rufen, die nie kommen würde. Der hünenhafte Attentäter saß ab und wandte sich ihr zu.
Da kam ein Schuss aus dem Nichts.
Der Attentäter erstarrte. Seine Augen weiteten sich und er starrte sie überrascht und sogleich entsetzt an. »Hatte nicht vor, Euch umzu…«
Er stürzte mit dem Gesicht ins Gras. Bei dem Aufprall scheute sein kräftiges Pferd und wich zurück.
Julia konnte es nicht glauben. Eine Weile herrschte tiefste Stille. Dann, als sie ihren Schock überwunden hatte, kroch sie zu ihm. Was auch immer er versucht hatte, Kurt war ein wertvoller und loyaler Soldat Englands. Vielleicht war er noch nicht tot. Sie musste zu ihm gelangen …
»Ein hübscher Vogel, der mir da ins Netz gegangen ist.« Ein Paar sehr saubere, aber abgetragene Stiefel traten in ihr Blickfeld.
»Oh, Gott sei Dank!« Julia blickte auf. »Ihr müsst diesem Mann helfen …«
Sie verlor den Boden unter den Füßen. Aus Tag wurde Nacht, aus Gut Böse, und die Toten wandelten auf der Erde.
Oder zumindest: Ein Toter wandelte auf der Erde.
»Nun, warum sollte ich ihm helfen, wenn ich es doch war, der ihn erschossen hat?« Er kniete sich zu ihr, ein leises Lächeln auf seinem runden Gesicht. »Hübsches Vögelchen. Und deiner Mutter so ähnlich.« Er streckte die Hand aus, um zärtlich eine wirre Haarsträhne aus ihrem Gesicht zu streichen. Er war es.
Purer Schrecken
Weitere Kostenlose Bücher