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Verrückt bleiben

Verrückt bleiben

Titel: Verrückt bleiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Buschheuer
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Erwachsensein sollte heißen, nichts mehr müssen zu müssen. Aber vorher?
    Der Regisseur Emir Kusturica lässt Sex in seinem Film »Arizona Dream« von Johnny Depp folgendermaßen beschreiben: »Wenn dich eine Frau länger ansieht, produzieren deine Organe ein besonderes Protein, so tödlich, dass ein Tropfen auf der Spitze eines Pfeils genügen würde, um damit sogar ein Nashorn in zwei Sekunden umzubringen.« Brigitte Reimann nennt diesen Vorgang in ihren Tagebüchern »Beischlaf-Blicke«. Forschungen haben ergeben, dass sich ein Schachweltmeister, wenn er gegen eine nackte Frau antritt, offenbar zu Höchstleistungen angespornt fühlt.
    Ist Ihnen bewusst, dass die Missionarsstellung, die Ihnen vielleicht in der Eheroutine zum Hals raushängt – das heißt, falls Sie überhaupt noch Sex haben –, eine kulturelle Errungenschaft ist? Irgendwann hat ein Urmensch, als er seine Gattin wie gewohnt im Doggy-Style besprang, gedacht: »Mensch!« oder besser: »Urmensch! Ob es eine Möglichkeit gibt, dabei ihr Gesicht zu sehen?« Dann hat er sie umgedreht und die Missionarsstellung wurde geboren. Inzwischen sind andere Möglichkeiten dazugekommen: Wiener Auster, Reiterstellung, Löffelchen, Schubkarre, 69, Französisch, Budapester Beinschere – den Rest können Sie im Kamasutra nachschlagen. Haben Sie einen Fetisch? Polieren Sie lieber Ihr Auto oder Ihre Schlagbohrmaschine, als Ihre Frau zu streicheln? Das ist Objektophilie, ganz groß im Kommen.
    Ein Blick in die unendlichen Weiten des Sex-Universums: In Edgar Reitz’ Heimat-Zyklus wird der jungfräuliche Gymnasiast Hermann von zwei angeschickerten Mittzwanzigerinnen auf der Besucherritze eines alten Ehebetts verführt. Die knarrenden Dielen, die Retro-Tapete, Hermanns gestreifter Schlafanzug, die gerüschten Flatterhemden der Verführerinnen. Die beiden Frauen unterhalten sich über Hühner, Tauben und das Kommödchen in Düsseldorf, während Hermann, auf dem Rücken liegend, mit geschlossenen Augen, immer schwerer atmend, seine Hände unter der Bettdecke links und rechts nach ihren Schößen ausstreckt.
    In Woody Allens Film »Was Sie schon immer über Sex wissen wollten« verliebt sich ein Arzt (Gene Wilder) in ein Schaf (Daisy). »Du von den Bergen Armeniens und ich von Jacksons grünen Hügeln – und doch, aus uns könnte was werden«, sagt er. Seine Ehefrau wundert sich: Er streichelt seinen Schafswollpullover, er riecht nach Hammelkeule, er hat kleine Fellfetzen am Schlips. Im Hotel verbringt das unerhörte Paar seine erste gemeinsame Nacht. Der Arzt bestellt weißen Burgunder, etwas Kaviar und ein paar Grashalme. Er sitzt mit dem Schaf am Kamin, er schenkt ihm ein Brillantkollier und zieht ihm schwarze Strapse an. Dürfen wir darüber lachen? Ist das lustig oder pervers? Soll man das eins zu eins verstehen oder als Metapher für die Uferlosigkeit des Möglichen?
    In der surrealistischen Komödie »Max mon Amour« von Nagisa Ōshima verliebt sich Charlotte Rampling in einen Affen. Ihr Ehemann kann gegen die Affäre seiner Frau nicht viel einwenden – immerhin hat er selber eine. Aber ausgerechnet ein Affe? Das macht ihn fertig. Er engagiert sogar eine Nutte, um den Affen von seiner Gattin abzubringen. Vergeblich.
    In Ōshimas berühmtestem Film, »Im Reich der Sinne«, lässt sich ein Geschäftsmann auf dem Gipfel der Lust von seiner Geliebten entmannen, in Sam Garbarskis »Irina Palm« gibt es eine anrührende Liebesgeschichte zwischen einer betagten Handmassagen-Kraft und dem osteuropäischen Clubbesitzer, in Amos Kolleks »Sue – Eine Frau in New York« zeigt Sue einem Obdachlosen auf der Parkbank ihre Brüste, in Sofia Coppolas »Lost in Translation« kommen sich ein junges Mädchen und ein alter Mann sehr nah – ganz ohne Sex, in Gerard Damianos »Deep Throat« schafft es eine Frau nur durch Fellatio zum Orgasmus, in Kipphardts »März« fliehen zwei Irre und zeugen ein Kind. In der Literatur geht alles. Im Film geht alles. Und im Leben? Eigentlich auch.
    Ich will noch einmal zu Dirk aus dem ersten Kapitel zurückkehren, dem Jungen, der von der Kindergärtnerin nackt aufssteinerne Waschbecken gestellt wurde und von uns ausgelacht werden sollte, weil er ins Bett gemacht hatte. Nicht nur seine Schmach ist mir bis heute im Gedächtnis. Auch anatomisch war mir etwas aufgefallen. »Die Jungs«, verkündete ich, als ich nach Hause kam, »haben alle so lange Bauchknöpfchen.« Ich hatte meinen ersten Schwanz gesehen und erntete damit einen Heiterkeitserfolg.

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