Verrückt bleiben
mit »Freaks« ein Zeichen setzen. Er wollte die »Monster« als Menschen zeigen und die Normalgewachsenen als wahre Monster. Das Publikum war noch nicht bereit dafür. In den Testvorführungen von »Freaks« im Januar 1932 kam es zu Tumulten. Die Kritiker verrissen ihn, die Zuschauer verließen angeekelt die Kinos. Eine Frau drohte, MGM zu verklagen, weil sie vor Schreck eine Fehlgeburt hatte.
Mariam, die fast hundert Jahre später lebt, traut sich aus dem Kokon eines Leinwand-Wanderzirkus heraus, ohne dass jemand vor Schreck niederkommt. Sie lebt im wirklichen Leben, unter bartlosen anderen Frauen, und teilt in ihrem Blog (Frau mit Bart) öffentlich etwas mit was ich als »Coming Out als Ich« bezeichnen würde. Ihre Wahrnehmung verändert sich. Die Art, wie sie auf die Welt schaut, verändert sich durch die Art, wie sie angeschaut wird. Ist sie ein Freak? Ist sie eine Frau? Und wer bestimmt das?
1999, auf der Premiere ihre Filmes »Notting Hill«, hob Julia Roberts den nackten Arm, um den Journalisten zuzuwinken. Sie hatte Achselhaare – die Society war geschockt, das Bild ging um die Welt. Ein kosmetisches Versagen oder Auflehnunggegen den Mainstream? Roberts trug die Aufregung mit Humor: »Es war, als hätte ich einen Chinchilla unter dem Arm gehabt. So hat die Welt darauf reagiert.«
Wir halten mal fest: Anything goes. Eine Frau kann auch mit unbequemen Schuhen fest auftreten. Eine Frau kann auch mit geschminkten Augen den klaren Blick behalten. Eine Frau mit abgebissenen Fingernägeln kann durchaus Kanzlerin werden.
Und was ist mit Solidarität? Ist sie, dort, wo sie ist, nur aufgesetzt, nur Attitüde? Kein Blick ist so erbarmungslos wie der weibliche. Niemand urteilt so schonungslos über eine Frau wie eine Frau. Lassen wir uns etwa gegeneinanderhetzen?
Aels aus »Opfergang«, Vienna aus »Johnny Guitar«, Lisbeth aus der »Millennium«-Trilogie und Mariam, die Frau mit Bart, vier Weiber, vier Grenzgängerinnen – aber würden sie im wirklichen Leben Freundinnen werden? Würde eine die Andersartigkeit der anderen ertragen? Was für eine sinnlose Schlacht, in die wir uns treiben lassen, in die wir uns selbst treiben, um unsere Kräfte zu verschwenden! Und das alles nur, weil wir andere nicht anders sein lassen. Alle hacken aufeinander ein: Die geschminkten Frauen auf die ungeschminkten, die kurzhaarigen auf die langhaarigen, die linken auf die rechten, die dicken auf die dünnen, die Trinkerinnen auf die Anti-Alkoholikerinnen, die berufstätigen auf die arbeitslosen, die religiösen auf die ungläubigen, die kinderlosen auf die Mütter. Zersplittert und zerkracht, sind wir nicht kampffähig, keine Großmacht. Wir unterwerfen uns den Männern, wenn wir uns miteinander überwerfen.
Loben Sie die Antipodin! Finden Sie das Schöne in ihr! Bewundern Sie das Lebenskonzept der Frau, die Sie bis eben als Rivalin begriffen haben: die Junge, die Alte, die Schlampe, die Claqueurin, das Hausmütterchen, die spirituell Verstrahlte, die Führungskraft, die Süße, die Bittere, die Intellektuelle, die Kämpferin. Was hat sie, was Sie nicht haben? Wie können Sie mit ihr gemeinsam stark sein? Schwestern, Mütter, Huren, Vorstandsvorsitzende aller Länder, vereinigt euch!
20. SEX
»Wenn wir es recht überdenken,
so stecken wir doch alle nackt in unseren Kleidern.«
Heinrich Heine
Der erste pornographische Trickfilm der Welt stammt von 1920 und heißt »Les Mésaventures de Monsieur Gross’ Bitt« (Die Missgeschicke des Herrn Großschwanz). Er handelt von einem kleinen Mann, der seinen großen Schwanz nur mit der Sackkarre wegkriegt. Meist aber hat sein Geschlechtsteil andere Pläne als er und zerrt den verwirrten Franzosen hinter sich her. Schließlich trennt sich der Schwanz vom Besitzer und geht eigene Wege. Der Cartoon ist schrecklich lustig. Die Originalkopie befand sich lange in den Archiven des Vatikans, bis hierhin ist die Information durch den Schweizer Pornoproduzenten Eduard Stöckli verbrieft, dann kam in meiner Phantasie Beate Uhse im Focke-Wulf Fw 190 mit luftgekühltem Sternmotor vorbeigeflogen und rettete Herrn Großschwanz aus den Klauen der Kardinäle. Der Sechsminüter fand sich jedenfalls in den 1990ern auf der zweiteiligen Uhse-Video-Kompilation »Als das Vögeln laufen lernte« – heute ist die bemerkenswerte Antik-Porno-Sammlung in den Archivschränken der »Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien« verschwunden. Irgendeinen Bedenkenträger gibt es immer.
»Deprimiert durch die
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