Verrueckt nach Liebe
Standpunkt zwar nicht lautstark gebilligt, Tucker aber zumindest nicht widernatürlicher Neigungen bezichtigt.
»Gestern hat meine Mom mir gesagt, dass es okay ist, wenn du mit Pippen spielst.«
Mit zusammengezogenen Augenbrauen reichte Tucker Lily den Teller, den er gerade gespült hatte. »Du hast ihr von uns erzählt?«
Sie nahm den Teller und stellte ihn in die Spülmaschine. »Nicht direkt, aber sie weiß, dass du manchmal nach der Schule mit Pippen Ball spielst.«
Er griff nach dem Geschirrtuch und trocknete sich die Hände ab. »Was heißt ›nicht direkt‹?«
Lily klappte die Tür der Spülmaschine zu. »Es heißt, ich werde es ihr sagen. Nur jetzt noch nicht.«
»Warum?«
»Weil sie dann alles über dich wissen will.« Was nur ein Grund war, aber nicht der wichtigste. »Und du behältst Dinge für dich. Weshalb sich mir die Frage aufdrängt, was du mir verschweigst.« Sie musste sich erst noch über einiges klar werden, zum Beispiel darüber, was sie für ihn empfand, und ob sie den Gefühlen trauen konnte, die er angeblich für sie hegte. Könnte sie damit umgehen, wenn alles den Bach runterginge? »Was für dunkle Geheimnisse hältst du vor mir geheim? Ist beim Militär irgendwas vorgefallen?«
Er schüttelte den Kopf. »Beim Militär zu sein hat mir das Leben gerettet.«
»Tucker!« Sie stupste ihn an, aber er rührte sich nicht. »Immerhin ist fünfmal auf dich geschossen worden.«
»Unter Beschuss bin ich viel öfter geraten.« Er lächelte, als sei das keine große Sache. »Das war nur das letzte Mal. Ohne die Army wäre ich längst tot oder säße im Gefängnis.«
Er säße im Gefängnis? Sie nahm ihm das Geschirrtuch ab und trocknete sich langsam die Hände ab. Sie sah ihn prüfend an und spürte, wie ihr das Herz schwer wurde. »Warum sagst du das?«
Er wandte sich ab und griff in den Kühlschrank. »Bevor ich Soldat wurde, hatte ich kein Ziel und besaß nichts. Ich hatte mehrere Jahre im Jugendgefängnis gesessen und lebte in einem Heim für straffällige Jugendliche.« Er zog einen Zweiliterbehälter Milch heraus und lief damit zur Hintertür. »Mit achtzehn schmeißen sie einen raus, aber ich wollte sowieso gehen.«
Er kniete sich hin und goss Milch in den leeren Katzennapf. Da er ihrem Blick auswich, ging sie zu ihm und kniete sich neben ihn. »Wo war deine Mutter?«
»Tot«, sagte er ohne jede Gefühlsregung, sah sie jedoch immer noch nicht an. »Gestorben an einer Überdosis, als ich noch ein Baby war.«
»Tucker.« Sie legte ihm die Hand auf die Schulter, doch er stand auf und lief zurück zum Kühlschrank.
»Und dein Daddy?« Sie erhob sich und folgte ihm.
»Wusste nie, wer er war. Sie wahrscheinlich auch nicht. Ich bin mir sicher, er war irgendein Cracksüchtiger wie sie.«
»Wer hat sich um dich gekümmert?«
»Meine Großmutter, die ist allerdings gestorben, als ich fünf war.« Er stellte die Milch wieder hinein und schloss die Tür. »Dann diverse Tanten, aber vor allem der Staat von Michigan.«
Sie dachte an Pippen, und ihr wurde das Herz noch schwerer. »Tucker.« Sie packte ihn am Arm und zwang ihn, sie anzusehen. »Jedes Kind sollte in eine intakte Familie hineingeboren werden. Es tut mir leid, dass es bei dir nicht so war. Das ist schrecklich.«
»Es war beschissen.« Er blickte zu Boden. »Ich hab in elf verschiedenen Pflegefamilien gelebt, aber sie waren alle gleich: Leute, die nur Kinder aufnehmen, um Geld vom Staat zu kassieren. Sie waren nur eine Zwischenstation, bis ich wieder woandershin kam.«
Ihr fehlten die Worte. Doch das Ganze erklärte seine Ecken und Kanten und warum er so unerbittlich war. »Wieso hast du mir nicht davon erzählt?«
»Die Leute sehen dich mit anderen Augen, wenn sie erfahren, dass dich als Kind niemand wollte. Sie sehen dich an, als ob mit dir etwas nicht stimmen würde. Als wärst du selber daran schuld.«
Am liebsten hätte sie um diesen großen, starken Mann geweint, der als Junge so verloren war, fand aber, dass sie so stark wie er sein sollte. Deshalb hielt sie die Tränen zurück, die in ihren Augen brannten.
»Vor allem du solltest nichts davon wissen.«
»Warum?«
»Wenn die Leute erfahren, dass man im Jugendgefängnis war, beäugen sie einen misstrauisch, als könnte man ihre Familienerbstücke klauen. Egal, was man sonst in seinem Leben leistet.«
Sie nahm sein Gesicht in die Hände und schaute ihm in die Augen. »Das würde ich niemals denken. Ich bin stolz auf dich, Tucker. Du solltest stolz auf dich sein.
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