verrueckt nach mehr
werden würde. Die Beratung bei einem neuen Autismus-Experten schließlich hatte bei allen einen Aha-Effekt zur Fo l ge. So bekamen Jelena und Sergio zu hören, wie entscheidend es sei, dass ihr Kontakt zu Yvo stabil und intensiv bleibe, und dass sie bisher alles richtig gemacht hätten. Für Jelena war diese Aussage wie eine Befreiung von einer schrecklichen Last. Der Experte war außerdem der Meinung, dass es für Yvo nicht entscheidend sei, wer was wie oft mit ihm unternahm, als vielmehr, wer ihn mit all seiner Einzigartigkeit annahm und ihn echte Zuneigung und Liebe spüren ließ. Ihn bei all seinen Fähigkeiten und Interessen zu unterstützen und als vollwertiges Familienmitglied zu betrachten, sei das Wichtig s te. Und dann wurden sie noch darüber aufgeklärt, dass man inzwischen von einem sehr breiten Spektrum an autistischen Störungen ausginge und eigentlich viel mehr Kategorien bräuchte, als es momentan gab. So sei jeder Autist ein indiv i dueller Fall mit eigener Geschichte und eigenem Verlauf und könne in keine Schablone gepresst werden.
Nach all diesen ermutigenden Neuigkeiten waren Sergio und ich sofort losgezogen und hatten Yvo mit einer Profi-Malausrüstung ausgestattet. Sergios Geld saß besonders l o cker, wenn es um Yvo ging. Und nun war der Kleine nicht mehr zu stoppen. Wir mussten einige Legokisten in den Keller tragen, um in seinem Zimmer genug Platz für die Leinwände zu schaffen. Yvo wollte von all seinen Bildern umgeben sein und gab kein Einziges her.
Sergio und ich sahen ihm öfters beim Malen zu. Es war bereits unser kleines Ritual, uns auf dem Bett zu fläzen und dabei mitzuerleben, wie hochkonzentriert er den Pinsel schwang und leuchtende Farben auftrug. Sergio küsste mich während dieser Nachmittage oft voller Leidenschaft, flüsterte mir in den Nacken und konnte seine Hand nicht stillhalten. Ständig kroch sie unter meinen Pulli oder strich über meine Beine. Er schien vor lauter Glücksgefühlen ganz hibbelig zu sein. Und genau in solchen Momenten, wenn ich seine i m mense Liebe für Yvo hautnah miterlebte, wusste ich, wie viel ich ihm bedeutete, und dass ich nicht irgendein Mädchen sein konnte, mit dem er sich nur vergnügte.
Wenn ich Yvo ansah, konnte ich inzwischen an den klein s ten Veränderungen in seiner Mimik oder seinem Tonfall se i nen Gemütszustand erkennen. Ein intensiver, beinah starrer Blick und gespitzte Lippen bedeuteten Freude oder erwa r tungsvolle Neugier, während heftiges Blinzeln und lautes Summen große Anspannung verrieten. Beim Malen funkelten seine schwarzen Augen wie Edelsteine und seine wunderschön geformten Lippen ließen den Hauch eines Lächelns erkennen. Yvo sagte dann Sachen wie: »Sergio und Lex schauen zu, ja ja. Grün ist gut. Grün ist sehr gut. Probieren wir Grün mit Blau ...« Oder: »Es wird alles gemalt, was da ist. Alles, was da ist, wird auch gemalt, Strich für Strich. Das ist gut. Wir we r den staunen ...« Seine Miene war manchmal ernst und u n durchdringlich. Sein eigenes Bild schien ihn in den Bann zu ziehen und er betrachtete es, als würde er dabei in eine andere Welt eintauchen.
Mit Adriana unternahm ich nicht mehr allzu viel, denn sie war oft bei Joshua.
»Er redet nach dem Sex so viel, als hätte man seine Zunge mit einem magischen Trunk gelockert, Lexi«, erzählte sie mir an einem Sonntagnachmittag vergnügt. Wir schaukelten ger a de in ihrer Hängematte, während wir heiße Apfeltaschen aßen. »Inzwischen könnt ich dir alle bedeutenden Hilfsorganisati o nen der Welt aufzählen. Nach jedem Orgasmus bekomme ich zur Belohnung einen Crashkurs in Weltpolitik.«
Wir kicherten los, Gebäckkrümel schossen aus unseren Mündern.
»Zum Glück kann ich ihm mittlerweile zuhören, ohne ihn ablecken zu wollen«, grinste sie, um den Mund mit Puderz u cker beschmiert wie ein Kleinkind.
Ich riss meine Augen weit auf.
»Was denn? ... Okay, ich hab das Gefühl, ich hab einen Quantensprung in Sachen Sex und Weltgeschichte gemacht! Ha!«
Wir kicherten noch mehr.
»Das klingt doch richtig romantisch«, sagte ich.
»Findest du?« Sie musterte meine Gesichtszüge. »Ich fi n de Joshua auf eine antörnende Weise ziemlich schräg, ehrlich gesagt.« Ihr Blick wurde hintergründig. »Ich frage mich, ob er mit mir zusammen ist, weil er mich so toll findet oder ein pol i tisches Statement darin sieht, eine Freundin mit Migration s hintergrund zu haben?«
Ich pulte mit dem Zeigefinger einen Krümel aus ihrem Mundwinkel.
»Vermutlich
Weitere Kostenlose Bücher