verrueckt nach mehr
wusste, wo er steckte. Auf unsere zahlreichen Ko n taktversuche bekamen wir keine Reaktion.
Seit dem Unfall am letzten Sonntag hatte ich ihn nicht mehr gesehen, eine qualvoll lange Woche! Wir waren zusa m men im Krankenhaus untersucht worden, um sicherzugehen, dass wir tatsächlich unverletzt waren. Sergios Familie war herbeigeeilt. Seine Mutter, Tante, Onkel und einige andere Verwandte, die ich nur vom Sehen kannte, mussten Schreckl i ches durchmachen und es hatte furchtbar erschütternde Szenen gegeben.
Meine völlig aufgelöste Mutter hatte mich schließlich a b geholt, und ich war widerstandslos mitgegangen, weil ich sie nicht noch mehr aufregen wollte. Wer von uns beiden verstö r ter war, hätte man nicht sagen können.
Ich ging auch deshalb mit, weil mich Sergio weggeschickt hatte. Er hatte nichts weiter außer »Geh nach Hause, Lexi« gesagt und mich dabei nicht mal richtig angesehen. Auf den Abschiedskuss, den ich ihm auf die Wange gab, hatte er nicht weiter reagiert.
Meine Sehnsucht nach ihm war inzwischen unerträglich. Ich machte mir große Sorgen um seinen seelischen Zustand, fühlte mich hilflos und versuchte gleichzeitig Verständnis für sein distanziertes Verhalten aufzubringen. Wir hatten täglich telefoniert, aber Sergio war wortkarg gewesen und wollte mich nicht treffen. Meiner Mutter war das nur recht. Sie tat alles, um mich zuhause zu behalten. Sie sagte, ich müsse mich unbedingt von dem Schock erholen, dürfe mich nicht aufr e gen, aber im Grunde wollte sie mich nur von Sergio fernha l ten. Da war ich mir ganz sicher.
Heute ließ sie mich notgedrungen gehen.
Denn heute war ein besonderer Tag und er war schon tra u rig genug.
Sergios Abwesenheit ließ seine Familie bangen. Alle hof f ten inständig, dass er rechtzeitig auftauchen würde. Adriana lief hektisch in der Wohnung herum, ohne dass ersichtlich war, was sie eigentlich tat. Jelena war mit ihrer Schwester in der Küche und deckte den Tisch für später. Ihre Schwester und ihr Schwager hatten von Zuhause Speisen mitgebracht, damit Jelena nichts kochen musste.
Die Beerdigung war für 12 Uhr angesetzt.
In einer Viertelstunde mussten wir schon los, um pünktlich zur Trauerfeier zu kommen. Wir warteten nur noch auf Luka, der ein paar von uns in seinem alten Wagen fahren würde.
Sergios Cabrio war durch den Unfall übel beschädigt wo r den, wie ich von Bojan erfahren hatte, und Sergio hatte ihn seinem Bekannten von der Werkstatt überlassen. Er wollte das Cabrio nicht mehr und um irgendwelchen Papierkram wollte er sich erst recht nicht kümmern.
»Ich glaube, er hasst den Wagen, Lexi«, hatte Bojan ve r mutet. Es war ein nachvollziehbarer Gedanke, wie ich betrübt zugeben musste.
Als Luka an der Haustür klingelte, blieb keine Zeit mehr, um länger auf Sergio zu warten.
»Wir müssen ...«, gab uns Jelena Bescheid. Sie hatte in den letzten Tagen so viel geweint, dass sie ihre dick verquo l lenen Augen hinter einer Sonnenbrille versteckte. Wie wir alle trug sie dunkle Kleidung und war erstaunlich gefasst, aber es kostete sie eine Menge Kraft, ihre Haltung zu wahren. Ich fragte mich, ob ein Mensch überhaupt imstande sein konnte, den Tod des eigenen Kindes zu ertragen?
»Komm, Lexi.« Bojan erhob sich vom Sofa und streckte mir seine Hand entgegen.
»Geht schon«, sagte ich leise.
Bojan und ich fuhren bei Luka mit, während Adriana mit ihrer Mutter und ihrer Tante zu ihrem Onkel Angelo in den Wagen stieg. Ich nahm an, dass sie versuchte, ihrer Mutter eine Stütze zu sein. Aber vielleicht war es auch andersherum? Ich konnte nicht einschätzen, wie es ihr ging.
Und dann fuhren wir zum Friedhof.
Wir alle hofften insgeheim, dass Sergio spätestens zur Be i setzung erscheinen würde. Es schien beinah undenkbar, dass gerade er fehlte.
Seit gestern regnete es ununterbrochen. Der Himmel weint mit uns , dachte ich.
Zur Trauerfeier kamen noch etliche andere Angehörige und Freunde der Familie, die ich noch nie gesehen hatte. Wir liefen schweigend über den Friedhof bis zur Kapelle. Bis d a hin war ich tapfer und entschlossen gewesen, die Zeremonie würdevoll durchzustehen. Doch als wir alle in dem kleinen Gotteshaus Platz nahmen und ich den Kindersarg vorne au f gebahrt sah, begann meine Fassung zu bröckeln. Links von mir saß Adriana. Sie hatte den Kopf auf die Schulter von Jel e na gelegt und weinte still. Rechts von mir hatte Bojan Platz genommen. Er sah wie versteinert aus. Ich hakte mich bei ihm unter, weil ich so
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