verrueckt nach mehr
Schmerz, der unbarmherzig war. Mir wäre es sicher nicht anders ergangen, wenn ich an seiner Stelle gewesen w ä re. Und dennoch bäumte sich etwas in mir auf. Ein verzweife l ter Widerstand ...
Seit Tagen schon schwelten meine Sorgen.
Etwas Dunkles schwebte über unserer Beziehung. Dabei konnte ich dieses Etwas nicht wirklich dingfest machen, kon n te nicht sagen, was genau es war. Auf keinen Fall ließ es sich verdrängen. Es war ständig da, dieses bedrückende Gefühl: in den Worten, die nicht gesagt wurden, dem fehlenden Trost und der Zeit, die stillstand, nur um sich im nächsten Augenblick heimlich davonzuschleichen.
Das Glück, einen schweren Unfall ohne einen einzigen Kratzer überlebt zu haben, war für Sergio angesichts Yvos Tod zu groß, um gewürdigt zu werden. Mit jeder Minute, die mir seine Sprachlosigkeit zusetzte, wurde mir bewusst, dass ich mich zusammenreißen und stark sein musste.
Ich würde diese Stärke brauchen ... für uns.
Als wir vor meinem Haus parkten, sah er mich stumm an, die Augen trüb und zusammengekniffen, die Finger immer noch fest um das Lenkrad gekrallt.
Ich legte meine Hand auf seine Schulter. »Willst du nicht mit hochkommen?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich muss meinen Kram zusa m menpacken. Ich will so schnell wie möglich weg von Zuha u se.«
»Nur für eine Stunde«, flehte ich. »Bitte, Sergio!«
Er senkte den Blick, als wolle er sich meinem Einfluss entziehen. »Lexi, ich ... ich muss einige Dinge regeln, dann ... dann meld ich mich. Du musst ab morgen wieder zur Schule gehen und ganz normale Dinge tun ... Du kannst dich nicht die ganze Zeit unserem Irrsinn aussetzen, verstehst du? Das will ich nicht ... Geh jetzt nach Hause, Lexi, bitte!«
Ich schüttelte energisch den Kopf.
»Warum glaubst du, dass du für mich bestimmen kannst? Hm?«, fuhr ich ihn plötzlich an. Oh nein, ich hatte absolut nicht beabsichtigt, irgendetwas in der Art zu sagen und schon gar nicht in diesem harten Ton. Die Worte waren einfach u n kontrolliert aus mir herausgekommen.
»Was?« Sergio sah mich irritiert an. »Ich mein‘s nur gut, Lexi ...«
Warum spürte ich diese Wut?
»Du musst mir vertrauen, dass ich selber weiß, was ich brauche«, brachte ich ungehalten vor, »denn das, was du mit mir machst, Sergio ... glaub mir ... das brauche ich absolut nicht!« Ich konnte scheinbar nicht mehr aufhören, vorwurf s voll und verletzt zu klingen.
Was tat ich ihm an? Wo war mein Feingefühl geblieben?
»Was mach ich denn?« Er sah mich ungläubig an. »Ich möchte, dass einer von uns beiden in die Normalität zurüc k kehrt, verdammt, das ist alles. Und ich glaube ... ich glaube, du kannst es schaffen!«
»Und was ist mit dir?«, fragte ich verständnislos.
»Ich sagte doch, ich muss einige Dinge regeln. Wenn ich bei Bo eingezogen bin, dann ... Geh jetzt, Lexi, bitte!«
Betrübt und mutlos sah ich ihn an. Immer wieder stockte mein Atem, weil ich meine Tränen wegdrücken musste. Dabei wollte ich doch stark sein. Ich schnallte mich ab, richtete mich auf und umarmte ihn ohne Vorwarnung, legte meinen Kopf auf seine Schulter und verharrte lange in dieser Position. Er leistete keinen Widerstand.
»Es tut mir so leid«, flüsterte ich mit gebrochener Stimme. »Es tut mir so leid, was passiert ist, Sergio ... Es ist so schrecklich ... ganz schrecklich.«
Seine Arme umarmten mich endlich und mit einer Hand strich er über meine Haare. »Ja«, flüsterte er kaum hörbar. »Aber geh jetzt, Lexi.«
Ich brachte meinen Mund dicht an sein Ohr und sagte: »Ich liebe dich ... Wo bist du? Geh nicht weg von mir ... Bitte, Sergio!«
Vorsichtig drehte ich seinen Kopf zu mir und platzierte e i nen zärtlichen Kuss auf seine rauen Lippen. Er schloss die Augen.
»Hast du gehört? ... Geh nicht weg von mir«, wiederholte ich sanft.
»Ich bin da«, flüsterte er. »Lass mich einfach nur zu mir kommen, Lexi, bitte!«
Seine Lider hoben sich und ein paar dunkle Augen sahen mich kraftlos an.
»Gut«, sagte ich leise. »Ich geh morgen wieder zur Schule, wenn du mir versprichst, dass ich dich sehe, sobald du bei Bo eingezogen bist.«
Er nickte stumm.
Und dann stieg ich aus dem Wagen und rannte nach Ha u se, ohne mich noch einmal umzudrehen.
Ankerpunkte
Meine Mutter empfing mich an der Tür, als hätte sie g e wusst, dass ich komme.
»Oh, Lexi«, sagte sie mit einer betroffenen Miene.
Ich fiel ihr um den Hals und konnte nicht anders, als lo s zuheulen. Sie hielt mich fest an sich gedrückt, bis ich
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