verrueckt nach mehr
nichts erspart. Zwei stürzten sogar zu Boden und wurden von Wu d nik übelst beschimpft. Im Hintergrund sah man einige Z u schauer, die darüber verärgert den Kopf schüttelten. Die vielen Kommentare zum Video reichten von böse und sehr unfein formulierter Kritik, die sich an den Boxclub und die Veran t wortlichen für die Veranstaltung richtete, bis hin zu Lobe s hymnen, was Wudniks Boxstil betraf. Doch selbst ich konnte erkennen, dass er mehr die Hau-drauf-Methode anwandte, als einen technisch guten Kampf zu liefern. Offenbar war enorme Körperkraft sein ganzer Trumpf. Gepaart mit ordentlich viel Aggression war er eben der »Barbar«.
»Fette Scheiße ...« Bojan klappte den Laptop zu und stellte ihn auf den Tisch. »Mann, da kann man ja nur hoffen, dass alle wissen, was sie tun ... Weißt du, was ich nicht begreife?«
Er starrte mich mit großen Augen an. Ich schüttelte den Kopf. »Was?«
»Sergio hat Wudnik gestern kennengelernt und könnte uns `ne brühwarme Story über ihn erzählen! ... Tut er aber nicht ... Nicht mal das! ... Wenn das so weitergeht, verlernt er noch zu reden.«
Es passierte ganz überraschend.
Auf einmal fühlte ich mich so elend, dass ich mit den Tr ä nen kämpfen musste. Ich versuchte, Bojan möglichst nicht anzusehen.
Bojan streckte die Arme hoch und stöhnte. »Na gut, ich muss jetzt am Schmuck weiterarbeiten. Wenn du willst, kannst du fernsehen oder meinen Laptop haben.«
Ich schluckte schwer und nickte mit gesenktem Kopf. A b sichtlich ließ ich meine Haare vorfallen, damit er nichts von meinem Gemütszustand mitbekam. Aber es nutzte nichts.
»Lexi? ...« Er beugte sich vor, damit er mir direkt ins G e sicht sehen konnte. »Hey, was ist? Hab ich was Falsches g e sagt?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Lexi?«
Meine Augen brannten. Ich spürte, wie mir eine Träne die Wange herunterlief.
»Lexi?«
Bojan ließ nicht locker.
Ich hob schließlich den Kopf und sah ihm ins Gesicht. Als er erkannte, dass ich es mit einem plötzlichen Heulanfall zu tun hatte, legte er fürsorglich den Arm um meine Schultern und zog mich an seine Seite.
Eine Weile saßen wir so da, bis er schließlich leise in mein Ohr flüsterte: »Ich werd mit ihm reden. Mach dir keine So r gen. Ich lass ihn nicht mit dem Kopf gegen die Wand rennen!«
Seine sanfte Stimme beruhigte mich. Ich war so froh, dass er mich verstand und dass ihm Sergio ebenso wichtig war wie mir. In diesem Augenblick fühlte ich mich Bojan näher als je zuvor. Seine Wärme gab mir Geborgenheit und sein Duft war mir vertraut. Mir war, als würde mein Kummer wegen Sergio erträglicher, weil ich ihn mit ihm teilen konnte.
Ich sah ihn an und lächelte dankbar. Seine hellgrünen A u gen leuchteten auf eine Art, die mich beruhigte und mir Mut machte. Mit behutsamen, vorsichtigen Fingern klemmte er mir eine Haarsträhne hinters Ohr und trocknete mit dem Daumen die Tränenspur auf meiner Wange.
»Er ist ein Kämpfer, Lexi«, sagte er beinah flüsternd. »Könnte sein, dass ich mich wiederhole, ich weiß, aber was Besseres fällt mir zu Sergio nicht ein. Und ehrlich gesagt ist es das Einzige, was mir Hoffnung macht.«
Ich lehnte meinen Kopf gegen seine Schulter und schloss die Augen. Stimmt , dachte ich, Sergio wird kämpfen. Er wird nicht aufgeben . Niemals. Bitte nicht!
»Vorschlag ...«, hörte ich Bojan reden. »Du legst dich auf die Couch. Ich bring dir `ne Decke und die Fernbedienung und mach mich an die Arbeit. Wie ist das?«
Ohne die Augen zu öffnen, murmelte ich: »Okay, aber kein Fernsehen ...«
Kurz darauf lag ich langgestreckt auf Bojans Couch unter einer flauschigen Wolldecke und brauchte nicht lange, bis ich eingeschlafen war. Mein Schlafdefizit war wohl größer als gedacht.
Ich schlief tief und fest wie schon lange nicht mehr und bekam nichts mehr mit.
Ich glaubte zu träumen, als ich Sergios Stimme vernahm. Aber sie wurde immer deutlicher und dann war ich plötzlich wach. Vom Schlaf noch benebelt sah ich zu Bojans Arbeit s tisch. Er war nicht da. Kurz darauf hörte ich Sergio und Bojan miteinander reden und lauschte. Ich verstand kein einziges Wort. Sie mussten in der Küche sein und die verschlossenen Türen dämpften ihre Stimmen.
Ich sah zum Fenster.
Ein Stück tiefblauer Himmel war zu sehen. Es blieben b e stimmt noch einige Stunden bis zum Abend. Ein paar Stunden, die ich mit Sergio verbringen konnte, falls er nicht wieder wegen irgendeiner »Sache« unerwartet verschwand. Ich setzte mich auf, faltete die
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