verrueckt nach mehr
weiter. »Sie fürchtet, dass du die Schule nicht schaffst, weil du negativ beeinflusst würdest, und denkt, dass du in ominöse Kreise geraten seist, die sie nicht kontrollieren kö n ne.«
»Das ist doch alles totaler Blödsinn ! Ominöse Kreise? Was soll das denn heißen?«, rief ich. Einige Gäste an den anderen Tischen drehten kurz ihre Köpfe zu uns.
»Mmh, ich kann mir denken, dass sie maßlos übertreibt ... und dass sie noch andere Gründe hat, die eher bei ihr selbst liegen«, sagte Derek nachdenklich.
»Aber sie hat ... sie hat mir gegenüber nichts erwähnt. Nichts! Vielleicht ... vielleicht gingen ihr diese Dinge nur mal kurz durch den Kopf, und sie hat sie längst wieder verwo r fen?«
Derek stöhnte mutlos. »Ich wollte vorhin mit ihr reden. Ich wollte ihr sagen, dass sie nicht einfach so gehen und mich hier zurücklassen kann, als wäre nie etwas zwischen uns gewesen ...«
»Das kann sie nicht ... Nein! Ich will nicht umziehen!«, rief ich. »Auf keinen Fall. Sie kann das diesmal nicht allein bestimmen!«
Derek nickte zustimmend. »Deswegen dachte ich, sitzen du und ich irgendwie im selben Boot. Da sollten wir gemei n sam in dieselbe Richtung rudern. Was meinst du, Lexi?«
»Ja«, sagte ich sofort und versuchte normal zu atmen. »Ja!«
Derek runzelte die Stirn: »Leider hab ich noch keinen Plan, aber wir bleiben in Verbindung, okay?«
Er habe heute seinen freien Tag, aber meine Mutter müsse zur Spätschicht, teilte er mir mit. Wir tauschten unsere Ha n dynummern aus und dann trennten wir uns.
Ich hoffte inständig, dass ich meine Mutter zuhause antre f fen würde, bevor sie zur Arbeit losmusste. Obwohl ich Dereks Geschichte nicht anzweifelte, konnte ich mir nicht vorstellen, dass meine Mutter so radikale Pläne hinter meinem Rücken schmiedete. Ich wollte sie ohne Umschweife zur Rede stellen. Am liebsten wollte ich hören, dass sie im Affekt kurz über einen Umzug nachgedacht hatte, und dass es nur ein dummer Gedanke gewesen war.
Mir war sehr elend zumute, als ich unser Wohnhaus betrat und die Treppen hochlief.
Nachdem ich tief durchgeatmet hatte, schloss ich rasch die Wohnungstür auf und trat ein. Meine Mutter stand in ihrer Winterjacke im Flur und wollte gerade gehen.
»Oh, Lexi ... muss mich beeilen, Süße«, sagte sie gehetzt. Kein Wort darüber, wo ich so lange gewesen war! »Ich seh mir später dein Zeugnis an, okay?«
Sie wollte sich an mir vorbeidrängen.
»Mama, ich muss unbedingt mit dir reden«, sagte ich und packte sie am Ärmel. Ich zitterte innerlich vor quälenden G e danken, die mich irremachten. Bestimmt sah ich vollkommen neben der Spur aus.
Sie hielt inne und starrte mich mit diesem resoluten, u n nachgiebigen Blick an, den ich gut kannte. »Lexi, ich weiß ...«, sagte sie ernst und entzog ihren Arm meinem Griff. »Wir reden, wenn ich wieder da bin.« Ohne sich nochmal umzudr e hen, eilte sie aus der Tür.
Und da wusste ich, dass es stimmte!
Dass es genau so war, wie Derek es mir erzählt hatte.
Super-GAU in Sicht
Wenn man denkt, die Welt habe sich gegen einen ve r schworen und das Leben sei grausam und unfair, hat man mehrere Möglichkeiten, darauf zu reagieren: Man kann resi g nieren und in Depressionen verfallen, was meistens zu nichts führt, außer dass die Dunkelheit noch dunkler wird. Siehe meine Mutter! Man kann wütend werden und um sich schl a gen, was ebenfalls zu nichts führt, da man seine Kräfte blind vergeudet und irgendwann zusammenbricht. Siehe Sergios Vater! Oder man kann sich hinsetzen und darüber nachdenken, welche Auswege aus der Misere realistisch sind und was man dafür bereit ist zu tun.
Vorausgesetzt man glaubt daran, dass man eine Wahl hat.
Ich tat es.
Irgendwo tief in mir drin, und trotzdem war ich wie e r schlagen.
Während ich zusammengerollt auf meinem Bett lag und meinem Herzschlag lauschte, grübelte ich, was für ein Mensch ich war und welche Entscheidungen mich zu diesem gemacht hatten? Ich fragte mich, welche Ideen und Meinungen über mich selbst mich geformt und meine Persönlichkeit geprägt hatten ? In den letzten Monaten, seit wir nach Berlin gezogen waren, hatte ich mich selber ein paar Mal in Erstaunen ve r setzt. Ich hatte gelernt, dass die Dinge oftmals nicht so waren, wie sie auf den ersten Blick schienen und dass es entscheidend war, mit welchen Augen man die Welt um sich herum betrac h tete. Und vor allem, wie man sie bewertete. Ich hatte auch gelernt, dass man nicht gezwungen war, die Dinge immer
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