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Verrückte Lust

Verrückte Lust

Titel: Verrückte Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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mich ordentlich benehme. Bring ein paar Sachen zum Anziehen mit – irgendwas Feminines.«
    Der Brief erreichte Hildred im »Caravan«. Sofort nahm sie eine der Frauen beiseite und lieh sich von ihr ein Kostüm und einen Hut. In der Garderobe entfernte sie die Vaseline von den Lidern, die dicken schwarzen Striche von den Augenbrauen, das Rot von den Lippen und die grünen Puderschichten von den Wangen. Dann eilte sie hinaus und kaufte Seidenstrümpfe und einen Schlüpfer mit langen Beinen.
    Etwas konventioneller als sonst gekleidet, traf sie im Krankenhaus ein. Dr. Titsworth, an den sie sich wenden sollte, war, wie die meisten Beamten, beschäftigt. Eine ältere Frau, offenbar seine Sekretärin, eilte mit der Ernsthaftigkeit eines Leichnams hin und her. Sie hatte einen Spitzbauch, über den sie mit einer Brille, die ihre Augen vergrößerte, hinwegspähte.
    Hildred musterte sie einmal von Kopf bis Fuß und beachtete sie dann nicht mehr.
    Der Verwaltungsassistent der Verrückten erschien.
    »Sie wollten zu Dr. Titsworth?«
    Hildred nickte.
    »Um was geht es, bitte?«
    »Das werde ich ihm selbst sagen.«
    »Aber er ist beschäftigt.«
    »Dann werde ich eben warten.«
    Sie saß auf einer harten, glänzend polierten Bank. Der Raum war eine riesige, unmöblierte Halle mit Fenstern wie in einer Besserungsanstalt. Der Anblick der kahlen Wände ließ sie fast hysterisch werden; sie dachte daran, was Vanya daraus machen würde, wenn man ihr freie Hand ließe. Sie verabscheute die bunten Fenster: Sie erinnerten sie an Kirchen und Toiletten.
    Plötzlich öffnete sich die Tür für den Großmogul persönlich.
    Er hatte den Schädel eines Cäsar und die Visage eines Zaren.
    Er reichte ihr die Hand – sie fühlte sich an wie ein kaltes Steak.
    Sie nahmen Platz, und Hildred erklärte ihm ganz ruhig und mit wenigen Worten, warum sie gekommen war. Während sie
    sprach, trommelte er mit seinen langen, spitzen Fingern auf die Armlehne seines Sessels.
    »Mit welchem Recht fordern Sie ihre Entlassung?« fragte er.
    Hildred antwortete, sie sei Vanyas Vormund.
    »Aha, ich verstehe. Darf ich fragen, wie alt Sie sind?« Seine winzigen, stechenden Augen durchbohrten sie.
    Diesen Blick wendete er auch bei seinen Patienten an; er sollte einschüchtern.
    Hildred fingerte an den geborgten Wildlederhandschuhen herum und zog immer wieder mit der typischen weiblichen Geste den Rock über die Knie. Dr. Titsworth hüstelte. Er erinnerte Hildred sehr dezent daran, daß es ganz bei ihm liege, die Freiheit der Patientin nach Gutdünken einzuschränken –
    wenn er den Eindruck habe, daß das notwendig sei. Hildred hörte ihm sehr ernst und respektvoll zu; sie legte ihre Hand ganz zufällig auf seine und entschuldigte sich gleich darauf übertrieben. O ja, es war deutlich zu sehen, daß sie ganz außer sich war, daß sie sich noch nie zuvor in einer solch peinlichen Lage befunden hatte.
    »Herr Doktor«, sagte sie, und ihre Augen waren wie die eines weinenden Engels, »diese ganze Sache verwirrt mich zutiefst.
    Ich kann das nicht verstehen. Ich weiß nicht, was ich tun soll, ich bin völlig ratlos. Haben Sie nicht gesagt, daß Sie mir einige Fragen stellen wollten?«
    Titsworth ließ sogleich seine Sekretärin kommen und eine vorbereitete, mit Schreibmaschine geschriebene Liste bringen.
    Gedankenverloren legte er das Papier kurz auf seinen Schoß, gerade lang genug, daß Hildred es überfliegen konnte. Es waren die üblichen idiotischen Fragen, die nicht so sehr Antworten als vielmehr Stempel, Siegel und die unleserlichen Unterschriften übel beleumundeter Zeugen zu erfordern
    schienen.
    Plötzlich bekamen seine glänzenden
    Augen einen
    verschlagenen, unsteten Ausdruck. »Sagen Sie«, fragte er kalt,
    »wie lange nimmt sie schon Drogen?«
    »Aber Herr Doktor!« Hildred sah ihn befremdet, ja verletzt an.
    »Ach, nun kommen Sie schon!« sagte er. »Warum hat sie von Nietzsche phantasiert, als sie eingeliefert wurde? Warum bleibt sie dabei, daß Nietzsche sie in den Wahnsinn getrieben hat?«
    »Aber Herr Doktor…«
    »Ich nehme an, Sie wissen«, fuhr Titsworth rasch fort, »daß Ihr Mündel neulich vergewaltigt worden ist.«
    Hildred schnappte nach Luft.
    »Sie wissen es nicht, was?« sagte Titsworth. »Warum haben Sie sie damals allein gelassen? Warum haben Sie nicht die Polizei benachrichtigt? Warum?« Seine Fragen schienen kein Ende zu nehmen. Dann hörte er, als hätte er nun genug Spaß gehabt, abrupt auf, rief eine Schwester und gab ihr eine kurze

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