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Verrückte Lust

Verrückte Lust

Titel: Verrückte Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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einfach nichts mehr. Sie hielt den Mund und zitterte. In ihrem Kopf war nichts außer einer vagen,
    lähmenden Angst. Ihr Gehirn fühlte sich an, als wäre es dabei zu versteinern.
    Schließlich hielt der Wagen an, und sofort sprangen vier oder fünf kräftige Männer von der Ladefläche. Einer von ihnen packte sie und zog sie aus dem Fahrerhaus. Er trug sie in ein Gebäude. Drinnen war es stockdunkel. Ein Streichholz
    flammte auf, und dann machte sich einer in einer Ecke zu schaffen, in der eine Flasche mit einer Kerze darin stand. Die Männer begannen zu sprechen – schnell, mit leise
    hervorgestoßenen Lauten. Sie konnte nichts verstehen. Es klang, als sprächen sie mehrere Sprachen.
    Sie hatte währenddessen den Mund nicht aufgemacht, hatte sich mit keiner Bewegung gewehrt. Plötzlich dachte sie: Ich muß schreien – und sie versuchte es, aber aus ihrer Kehle kam nur ein leiser, kratzender Laut. Sofort legte sich eine große, behaarte Hand voll Schweiß und Schmutz auf ihren Mund.
    Beinah gleichzeitig wurden ihr die Kleider vom Leib gerissen.
    Einen Augenblick lang ließen sie sie in Strümpfen dastehen, während sie die Köpfe zusammensteckten und sich berieten.
    Sie konnte nicht verstehen, was sie sagten. Ihre Strümpfe rutschten hinunter; sie bückte sich und zog sie herauf. Es verging vielleicht eine Minute, in der sie nackt, mit ordentlich glatten Strümpfen, dastand. Plötzlich schob sich ein Arm in ihre Kniekehle, und sie bekam einen Stoß. Ihr Rückgrat schlug schmerzhaft auf der Tischplatte auf, und eine Hand drückte auf ihren Mund und erstickte ihren Schrei. Sie spürte die Kälte eines Gurtes auf ihrem Bauch und dann den kurzen, heftigen Ruck, mit dem der Gurt angezogen wurde. Sie packten ihre Hände und fesselten sie ebenfalls. Ihre Beine waren frei, und da sie nicht wußte, was sie sonst hätte tun sollen, trat sie wild in alle Richtungen. Das tat sie immer noch, als ein gewaltiges Gewicht sich auf sie legte. Der Raum wurde dunkel…

    Als sie die Augen aufschlug, hatte sie den Geschmack von Brandy im Mund. Wieder trat sie, und wieder legte sich das Gewicht auf sie… noch einmal, und noch einmal, und noch einmal… Es war, als wäre ein ganzes Regiment im Raum.
    Als sie zu sich kam, lag sie im Hafen in einem Rinnstein. Sie schrie aus Leibeskräften, aber niemand kam. Sie schrie lauter und lauter. Schließlich hörte sie Schritte, und ein Knüppel traf ihren Kopf und machte ein dumpfes, dröhnendes Geräusch.
    Wieder umhüllte sie Dunkelheit, und dann sah sie blitzende Knöpfe und einen Mann, der sich über sie beugte. Er roch aus dem Mund, und in seinen Augen tanzten grüne Flaschen, und dann setzten sich die Räder knirschend wieder in Bewegung und rüttelten sie durch, und ihr Rückgrat knackte, und sie bat sie, sie nicht in Stücke zu reißen. Sie trugen sie in einen dunklen Raum. Es war kalt, und sie spürte, daß ihre Strümpfe rutschten. Schatten stürzten sich aus den sich vorwölbenden Wänden auf sie, und eine weiche, schwammige Hand, die nach Desinfektionsmittel roch, legte sich auf ihren Mund. Sie wehrte sich, aber ihre Glieder waren in einen Schraubstock gespannt, und der Schraubstock war aus Eis, und Tonnen von Eis legten sich auf sie und verbrannten ihre Haut. Nach einer Weile verschwanden die Schatten, und sie versuchte, stumm und verzweifelt diesmal, sich loszumachen. Schmerzen
    Schossen durch ihre Lenden, ihre Muskeln waren hart und verkrampft, und ihr Rückgrat, ihr Rückgrat fühlte sich an, als hätte man es mit einer Axt gebrochen. Sie wartete darauf, daß jemand kam und ihr Brandy einflößte, sie hochhob und wieder zu Boden warf. Aber es kam niemand.
    Sie war in einem Traum. Sie träumte, daß sie sich alles nur eingebildet hatte. Doch als sie erwachte, war sie immer noch gefesselt, und um ihr Bett standen Leute, Männer und Frauen mit bösen Gesichtern und tauben Ohren. Sie drängten sich zusammen, bewegten sich von einer Seite zur anderen, kamen auf sie zu, als wollten sie über sie herfallen, und verblaßten; sie kreisten über ihrem Kopf wie Engel, setzten sich mit ihren fetten Hintern auf ihre Brust und verblaßten wieder und klumpten sich wieder zusammen wie die Ziffern einer langen Zahl. »Sei still!« sagten sie. »Halt den Mund!« Sie versuchte, sie wegzustoßen, aber sie konnte sich nicht bewegen. Sie war gelähmt.
    Stundenlang kam niemand, die Wände blieben weiß und
    massiv, und nichts änderte sich. Die Monotonie machte sie verrückt; sie wußte, daß sie

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