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Verrückte Lust

Verrückte Lust

Titel: Verrückte Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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man verrückt ist, auch wenn man es nicht ist. Nach einer Weile ist man erschöpft, man beruhigt sich. Und dann fängt man an zu beten. Man weiß gar nicht mehr, was man sagt, aber man bettelt, man winselt, man kriecht wie ein Wurm. Und dann kommen sie wieder mit ihren kalten Eidechsenaugen und sehen einen blöde an und schreien: ›Sei still! Halt den Mund!‹ Man flucht und
    verwünscht sie, man bittet und bettelt, man winselt, man verspricht ihnen alles mögliche, aber sie sagen bloß: ›Sei still!
    Halt den Mund!‹
    Hier! Seht euch die Striemen an! Das haben mir diese
    verdammten Blutsauger angetan. Wartet, ich zeige euch noch mehr. Hildred, du hast meine Brüste gesehen, du hast gesehen, was sie mir angetan haben. Eines Tages bring ich sie um, diese verdammten Schweine!
    Sie werden mich nicht vergessen. Zweimal hab ich mich
    losgerissen. Beim zweiten Mal hab ich George Washington losgemacht. Die ganze Station ist übergeschnappt. Wir haben die Fenster zerbrochen, wir haben gesungen, wir haben
    getanzt… Wir haben ihnen eine Heidenangst eingejagt, das kann ich euch sagen…«
    Vanyas fiebriges Hirn zuckte wie ein Frosch unter dem
    Skalpell. Obwohl sie die Geschichte schon vier- oder fünfmal erzählt hatte, mußte sie unbedingt immer wieder davon
    anfangen… Sie wollte, daß sie über alles genau Bescheid wußten… Sie fürchtete, sie könnte irgendein Detail übersehen haben.
    Was war in jener Nacht geschehen, als Hildred ihre Freundin Vanya allein gelassen hatte? Warum hatte Hildred zugelassen, daß sie mit einem Fremden ging, besonders da Vanya doch betrunken und nicht imstande gewesen war, auf sich
    achtzugeben? War sie eifersüchtig auf ihre gute Freundin gewesen, oder hatte sie selbst eine Verabredung mit einem anderen gehabt? Und warum war sie so sicher gewesen, daß Vanya verschwunden war? Dies waren einige der Fragen, auf die Tony Bring keine Antwort finden konnte. Er war es, der Vanya ermunterte, von ihren Erlebnissen zu berichten.
    Geschickt und verschlagen trieb er sie an, trotz aller Einwände, die Hildred machte. Er gab vor, berührt zu sein, er spendete ihr Applaus, wenn sie dramatisierte, er tröstete sie, wenn sie kurz davor war zusammenzubrechen.
    Er ging zwischendurch aufs Klo, um sich Notizen zu machen, und wenn er zurückkam, trieb er sie weiter an, erinnerte sie an Dinge, die sie vergessen hatte, hakte nach, wenn sie sich widersprach, nickte zustimmend, wenn er wußte, daß sie log…
    Nach und nach stückelte er sich zusammen, was geschehen war: Vanya, Hildred und der Mann, der ein völlig Fremder gewesen war, hatten im »Caravan« etwas getrunken. Hildred war nach einem kindischen Wortwechsel mit Vanya gegangen.
    Der Mann bot Vanya an, sie nach Hause zu bringen. Als sie ins Taxi stiegen, sagte er dem Fahrer, er solle sie Richtung Norden fahren. Sie bat ihn, sie nach Hause zu bringen, aber der Mann ging nicht darauf ein und versuchte immer wieder, sie auf seinen Schoß zu ziehen. Sie wehrte sich dagegen. Bevor sie wußte, wie ihr geschah, fand sie sich auf dem Boden des Wagens wieder. Der Mann lag auf ihr, schlug sie und verdrehte ihr die Arme. Als sie zu sich kam, lag sie neben einer Zapfsäule auf dem Bürgersteig. Benommen blieb sie eine Weile sitzen und suchte in ihren Taschen nach dem
    Schlüsselbund. Schließlich rappelte sie sich auf und schleppte sich davon. An ihrer Schläfe klebte geronnenes Blut;
    geistesabwesend kratzte sie es im Gehen ab.
    Sie wußte nicht, wo sie war – die Straßen lagen verlassen, und ihre Namen sagten ihr nichts. Nach einer Weile ragten Schiffsrümpfe und Schuppen und Schornsteine und Masten im Nebel und Dunst auf. Hilflosigkeit und Angst überkamen sie.
    Vielleicht war sie gar nicht mehr in New York. Vielleicht war sie verschleppt worden. Plötzlich hörte sie hinter sich einen Lastwagen. Sie winkte dem Fahrer. Der Lastwagen hielt an, und sie stieg auf den Beifahrersitz. Es war ein
    Speditionswagen, und neben dem Fahrer saßen noch zwei
    Männer – Polacken, wie sie glaubte. Sie bat die Männer, sie zur Brooklyn Bridge zu fahren, und diese erklärten sich dazu bereit. Danach wurde kein einziges Wort mehr gesprochen.
    Die Männer fragten sie nicht, was mit ihr geschehen war oder was sie sonst machte oder so. Sie sagten keinen Ton. Sie hatte große Angst. Sie fragte sich, ob sie sie wirklich zur Brooklyn Bridge fahren würden – und was sie machen sollte, wenn sie es nicht taten. Sie fragte sich nicht, wie sie ihnen entkommen könnte. Sie dachte

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