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Verrückte Lust

Verrückte Lust

Titel: Verrückte Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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zwei Drinks genommen. »Man wird verrückt«, sagte er,
    »wenn man wie du im Dunkeln herumhockt. Ich mach dir
    einen Vorschlag: Wir gehen zu mir und hauen uns einen
    Kleinen hinter die Binde. Und dann gehen wir aus und feiern.«

    Kurz darauf saßen sie im Village bei »Paulino’s«. Hier ging es drunter und drüber. Alle waren betrunken. Es war ein
    fabelhaftes Publikum: Spieler, Kriminalbeamte, Ganoven, FBI-Leute, Starreporter der großen Zeitungen, Varieté-Künstler, Juden, die schlaue Bemerkungen machten, Schwule mit
    unflätiger Ausdrucksweise, Revuegirls, Studenten, die sich Sternzeichen auf die Regenmäntel gemalt hatten… Auf jedem Tisch stand eine Gratisflasche Wein. Während sie aßen, standen am Eingang Leute, die auf einen freien Platz warteten.
    Als sie auf die Straße stolperten, hatten sie einen herrlichen Schwips. Sie gingen die Sixth Avenue hinunter und wurden von einem kleinwüchsigen Zuhälter verfolgt, der ihnen seine Karte aufdrängte, während er mehr oder weniger bildhaft die verschiedenen Frauen beschrieb, die er anzubieten hatte.
    Neben einem Zigarrengeschäft war ein Tanzpalast. Er war brechend voll. Auch hier wieder Fusel – widerwärtiger, stinkender Fusel. Wo kam all das Zeug eigentlich her? New York war ein einziger großer Fluß voll Fusel.
    Sie lehnten, Limonadenflaschen in der Hand, an der Wand, als plötzlich ein Schrei ertönte und eine hysterische junge Frau aus der Toilette gestürzt kam und behauptete, sie sei
    angegriffen worden. Ein Schuß knallte, Tische fielen um. Im Nu – es war fast wie in einer Filmkomödie – war die Polizei da. Die Polizisten stürmten herein und verteilten wahllos Schläge mit ihren Knüppeln. Sie packten die junge Frau und schafften sie hinaus. Und dann spielte die Musik wieder, und die Kellner wischten den Boden auf. Niemand wußte, wer geschossen hatte. Niemand schien es wissen zu wollen. Zeit zu tanzen. Zeit noch einen Drink zu nehmen. Dredge sah sich nach einer Partnerin um. Es waren alle vergeben. Es war wie im Schlußverkauf. Sie warteten auf den nächsten Tanz. Alle vergebens…
    Draußen wartete der Bursche mit den Visitenkarten auf sie.
    Er schüttelte mißbilligend den Kopf. »Kommen Sie mit«, drängte er sie. »Fünfzig heiße Mädchen… Und wenn ich sage heiß, dann meine ich heiß.«
    »Morgen«, sagte Dredge.
    Sie schlenderten gemächlich durch die altmodischen Straßen.
    Die Namen der Spelunken klangen vielversprechend, aber das war auch schon alles, was man zu ihren Gunsten sagen konnte.
    Es war eine Boheme ohne Bohemiens. Die Schurkerei, das Laster, die Lust, das Elend – das alles war fiktiv.
    »Ich hab das Village satt«, sagte Dredge. Das sagte er schon seit Jahren.
    In diesem Augenblick ging eine Tür auf, und sie sahen eine Bar. Ohne lange Umstände gingen sie hinein. Es war eine von jenen Kneipen, in die jeder eingelassen wird, jeder vom Präsidenten abwärts. Eine Theke aus Mahagoni, Fußstützen aus Messing, verschmierte Spiegel, Kalender, Photos von Boxern und Soubretten, die aus der Police Gazette ausgeschnitten worden waren. Die einzige Neuerung war die Anwesenheit des anderen Geschlechts. Früher hatten sich die Frauen im Hinterzimmer aufhalten müssen. Sie hatten nicht an der Theke stehen, schmutzige Geschichten erzählen und damit prahlen dürfen, mit wie vielen Männern sie geschlafen hatten.
    Und man hatte sie zur Sperrstunde auch nicht mit dem
    Bootshaken herausschleppen müssen. Nein, früher hatten sich die Frauen der Straße manchmal benommen wie Damen –
    zumindest hatten sie es versucht; die neue Zeit dagegen verlangte von den Damen, daß sie sich benahmen wie Huren.
    Jedenfalls war das der Schluß, zu dem die beiden kamen, während sie sich still ein paar Drinks genehmigten. Sie diskutierten die Situation eingehend. Es störte sie, daß sie sich zwischen diese ehrbaren achtzehnjährigen Huren drängen mußten.
    Sie gingen zur Fifth Avenue, und ihr Weg führte über den Washington Square, der jetzt still und verlassen dalag. Beim Triumphbogen blieben sie stehen und gaben sich ein paar sentimentalen Betrachtungen hin. Früher hatte New York Charme gehabt: da waren der Haymarket, Huber’s Museum,
    »Tom Sharkey’s«, das German Village, Barnums »American Museum«, Thomas Paine und O. Henry… Alles vorbei. Jetzt gab es nur noch Wolkenkratzer, Juden, Mädchen, die sich unmöglich kleideten und benahmen, Automatenrestaurants…
    Dredge schwärmte von der Luneta in Manila. Da war es tausendmal besser als

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