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Verrückte Lust

Verrückte Lust

Titel: Verrückte Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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danach zu tanzen. Sie packte Dredge und zerrte ihn auf ihre stilvolle Art auf die Tanzfläche. Miss Lopez hatte eine andere Strategie. Sie verstand es, den Eindruck zu erwecken, als sänke sie in den Armen eines Mannes in Ohnmacht.
    Als alle wieder am Tisch saßen, spielte das Orchester erneut auf, worauf Miss Lopez wie elektrisiert aufsprang. Das Stück war eine von jenen Spezialnummern, die es der Sängerin erlauben, von Tisch zu Tisch zu gehen und, während die Musik die Fenster zu ihrer Seele aufstößt, ihr Herz auszuschütten.
    Miss Lopez verharrte bei jedem Tisch gerade lange genug, um die Brieftasche desjenigen, den sie mit flehendem Blick fixierte, zu befingern. Dann steckte sie das Geld in den Ausschnitt, wackelte ein-, zweimal dankbar mit dem Hintern und ging weiter – und das alles, ohne ihren Gesang zu unterbrechen, während die Musiker den Refrain des Liedes immer und immer wieder spielten. Es war ein Lied über die Liebe… »Ich liebe dich… ich liebe dich…« Es schienen kaum andere Worte darin vorzukommen. Die Darbietung endete vor den vier Cocktails, die Dredge bestellt hatte. Nachdem sie einen letzten Rest von Zärtlichkeit in die abgedroschenen Worte gelegt hatte, sank sie wie ein sterbender Engel auf ihren Platz.
    Inzwischen waren die Mädchen außerordentlich durstig
    geworden. Sie wollten Sauternes, und nachdem sie ein paar Schlucke davon getrunken hatten, entschuldigten sie sich und flatterten davon.
    »Zähl lieber mal deine Kröten«, sagte Tony Bring.
    Dredge zog ein Bündel Geldscheine hervor. Es waren
    siebenunddreißig Dollar.
    »Mehr hast du nicht?« fragte Tony Bring.
    »Mehr?« Dredge gab sich alle Mühe, erstaunt auszusehen.
    »Hör zu, Dredge, nimm dich zusammen. Das hier ist ein
    netter, stilvoller Laden…«
    Dredge verschanzte sich hinter seinem üblichen schwachen, freundlichen Lächeln. »Ich weiß nicht, was passieren wird«, sagte er, »und es ist mir auch egal. Ich bin schon aus edleren Etablissements rausgeschmissen worden. Keine Sorge!«
    Aber Tony Bring war besorgt – wenigstens noch eine
    Zeitlang. Er dachte an das, was der Taxifahrer gesagt hatte, und an den Mörder mit dem glatten Gesicht und den
    samtweichen Pranken.
    Als die Frauen zurückkehrten, bemängelten sie sofort, daß die beiden so ernst aussähen. Miss Lopez lehnte sich an Tony Brings Schulter und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Ihre Hand brannte ihm geradezu ein Loch in die Hose. »Nur einen
    kleinen Kuß«, flüsterte sie, legte sich in seinen Armen zurück, zog seinen Kopf hinunter, drückte ihre warmen Lippen auf seinen Mund und hielt ihn umschlungen. Das Licht wurde gedämpft, und die ersten Takte von »The Kashimiri Song«
    erklangen, während sie sich hingerissen an ihn klammerte.
    Rings um sie her sanken keuchende Nymphchen in die Arme ihrer Partner. Es war wie eine laue Frühlingsnacht am Fuß des Himalaya, wenn die Tauben miteinander zu turteln beginnen, wenn in den feuchten Blättern des Waldes ein Rascheln und Murmeln zu hören ist, ein Aufbrechen duftender Blüten, eine kaum wahrnehmbare Bewegung und Regung, die das Blut
    dicker macht.
    »Was für ein wunderschönes Hemd du anhast«, flüsterte
    Anita und kuschelte sich an ihn. Auf die Anrede »Miss Lopez«
    hatte sie nach dem zweiten Tanz verzichtet.
    Tony Bring betrachtete sich abermals im Spiegel. »Es ist das einzige Hemd, das ich besitze«, stammelte er.
    Miss St. Clair hörte das und brach in Gelächter aus. »Sein einziges Hemd!« Sie wiederholte es ein paarmal, warf den Kopf zurück und hielt sich die Seiten, um nicht vor Lachen zu platzen.
    »Aber das ist die Wahrheit«, erklärte er. »Ich hab keinen Penny.«
    Anita schenkte ihm einen dunklen Blick und gab ihm einen spielerischen Rippenstoß. »Ich weiß«, sagte sie und verdrehte geziert die Augen. »Den Satz hab ich schon öfters gehört.«
    Dredge saß mit einem breiten Grinsen dabei. Ihm war es ziemlich egal, ob sie jetzt oder später hinausgeworfen wurden.
    Es war ein schöner Scherz, der keinem den Spaß zu verderben schien.
    Die jungen Damen schienen Probleme mit ihrer Blase zu
    haben – jedenfalls mußten sie noch einmal auf die Toilette.
    Diesmal waren sie kaum gegangen, als auch schon ein Ober erschien. Es war ein neuer Ober, formeller gekleidet als der erste und mit hochmütigerem Gebaren. Ohne einen von ihnen anzusehen, präsentierte er ihnen die Rechnung. Dredge sah die Rechnung und dann den Ober an. »Wir wollten noch nicht gehen«, sagte er und versuchte, ein

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