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Verrückte Lust

Verrückte Lust

Titel: Verrückte Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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fest.
    Er schlief sofort ein. Vanya ging in ihr Zimmer und schlüpfte zu Hildred in ihr schmales Bett. »Alles in Ordnung«, sagte sie und legte ihre Arme um Hildred. »Ihm war schlecht. Er mußte kotzen.«
    Bald waren auch sie friedlich eingeschlafen. Es war so still wie in einer Gruft – nur auf der Straße ging hin und wieder jemand vorbei, und man hörte ein nervöses, bedeutungsloses Hüsteln.

    2

    Über Nacht war eine dünne Schicht Schnee gefallen. Überall, so weit das Christentum reichte, wünschten die Leute sich an diesem schönen, kalten Morgen »Fröhliche Weihnachten!«
    und gingen dann in die Kirche, um ein paar Tränen zu
    vergießen. Nicht einmal der hartgesottenste Atheist konnte sich dem alles durchdringenden Geist des Weihnachtsfestes
    entziehen. Seit Wochen hatte die Heilsarmee ihre Bettler überall in der Stadt an strategischen Punkten postiert; die Männer sahen aus wie heruntergekommene Mönche, standen neben einem gewaltigen Kessel voll Geld und läuteten mit einer Tischglocke, und die Frauen läuteten ebenfalls Glocken und hielten ihre Tamburine in dünnen, kalten Fingern. Der Zweck des Ganzen war, der Welt Frieden zu bringen und die menschlichen Wracks der großen Stadt daran zu hindern, vom rechten Weg abzukommen, sich zu Tode zu trinken oder der Kommunistischen Partei beizutreten. Jedermann wußte, was für ein Glück es war, daß es die Heilsarmee gab, und welch eine segensreiche Arbeit sie in den Elendsvierteln, in Chinatown und an der Bowery, leistete – überall, wo es Armut, Laster und Sünde gab. Und jeder, der an diesen abgezehrten Menschenfreunden, diesen schmerzensreichen Schwestern der Gnade vorbeikam, die so schön sangen, wenn die Baßtrommel geschlagen wurde, warf ein paar Kupfermünzen in den Kessel und hatte das Gefühl, etwas für eine gute Sache getan zu haben.
    Die Warenhäuser sprachen von guten und schlechten Weihnachten. Auf eine unbestimmte, jenseits aller Arithmetik stehenden Weise sollten die Profite letzten Endes dem Heiland zu höherer Ehre gereichen. In den geschäftigen Wochen, die dem Tag vorausgingen, sprachen die Leute von Hemden,
    Krawattennadeln, Büchern, Kameras, usw. Erst in der elften Stunde, in einer kurzen Unterbrechung, in welcher der Chor von Angst und Sorge sang, dachte man an den Heiland. Was für ein Schauspiel das für Ihn war, der da oben in den Wolken saß, zur Rechten Gottvaters, und die Glocken läuten hörte und die armen Penner sah, die auf der Bowery in einer langen Schlange um ihr großes Geschenk anstanden. Und wie
    großartig fühlte Er sich, wenn Er hinabsah auf die dunklen Länder der Erde, wo die Menschen nicht weiß waren, sondern gelb oder schwarz, wo sie krauses Haar und die Männer Ringe in den Nasen und Tätowierungen auf der Brust hatten – wenn er sah, wie sie alle die Augen gen Himmel wandten und Seinen Namen lobten und Halleluja sangen.
    An diesem schönen, kalten Morgen erwachte Tony Bring
    etwas früher als sonst. Ein schrecklicher, unstillbarer Durst weckte ihn. Eigentlich waren sie alle durstig, nur war die Anstrengung, aufzustehen und zum Waschbecken zu gehen, für die anderen zu groß. Er sagte Hildred, daß es Zeit sei aufzustehen und daß es schon spät sei, aber sie lag reglos da und drückte ein nasses Handtuch auf die Augen.
    »Verdammt«, sagte er, »heute werden wir sie nicht
    enttäuschen. Ich jedenfalls nicht!«
    Während Hildred sich matt regte, setzte er sich ans Fenster und begann in der Proust-Ausgabe zu blättern, die sie ihm zu Weihnachten geschenkt hatte. Auf dem Kotztisch stand ein riesiger Strauß Gardenien – Hildreds Geschenk an Vanya. Ihr erdiger, sinnlicher Duft rief, in Verbindung mit der verrückten Prozession, die sich in einem Veitstanz über die Wände bewegte, eine außerordentliche Mischung von Gefühlen in ihm hervor, die noch verstärkt wurden durch den Anblick von Hildred, die im Dämmerlicht dalag, ihr Gesicht weiß wie eine Totenmaske, und hin und wieder die Lippen öffnete, um ein fiebriges Stöhnen auszustoßen. Er versank in Nachdenken über den Mann, der der Welt diese unerschöpflichen Bücher
    geschenkt hatte, diesen kranken, ans Bett gefesselten kleinen Riesen, der mit schwindender Kraft in einem hermetisch verschlossenen Raum diese kostbare Entomologie der
    Gesellschaft geschrieben hatte, eingepackt in Kleider und Decken, neben sich einen Tisch, der mit Notizbüchern,
    Medikamenten, Schmerzmitteln und Opiaten bedeckt war. Das Leben dieses Mannes war voller Leiden

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