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Verrückte Lust

Verrückte Lust

Titel: Verrückte Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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alle Tonlagen durchlief und tiefer und tiefer fiel, wie Regen in einem Gully…
    Tony Brings Enttäuschung war heftig und bitter. Strohfeuer –
    das war alles, auf das es hinauslief. Morgen früh würde sie wieder nach Erdbeeren mit Schlagsahne schreien. Er steigerte sich in eine solche Wut hinein, daß er kurz davor war, sich die eigenen Gedärme herauszureißen. Wenn nur die Tür nicht abgeschlossen gewesen wäre! Wenn er nur da drinnen bei ihr hätte sein können, um ihr das Brotmesser zu geben, als sie geschrien hatte wie ein abgestochenes Schwein! Er fühlte sich gedemütigt.
    Er stand, den Besen in der Hand, auf der Schwelle von
    Vanyas Zimmer. Jedesmal, wenn er diesen Flügel des
    Leichenschauhauses aufsuchte, überkam ihn irgendwie das wilde Verlangen, sich mit Schaufel und Mistgabel ans Werk zu machen, das Zimmer zu säubern und neues Stroh auszulegen.
    »Hier lebt ein Pferd«, knurrte er. »Ein Pferd, das kein Pferd ist, sondern ein Akrobat, der Lyrik absondert. Ein Tier, das sich in seiner eigenen Scheiße wälzt. Ein ausgelassenes Biest, das mit jedem Wedeln seines Schwanzes ein neues Bild an die Wand malt. Nein, kein Pferd, sondern eine Seekuh mit einem gelben Schwanz, ein faules, pflanzenfressendes Tier, das sich mit Tabak vergiftet. Es spreizt die nassen, plumpen Flossen auf dem Tisch unter dem Wasserbehälter und saugt Inspirationen aus dem Gurgeln der Abflußrohre…«
    Alles hier roch nach Verfall, nach Verderbtheit. Hier, in dieser fauligen, feuchten Höhle kämpfte sie mit den Dämonen ihrer Träume oder wälzte sich aus dem Bett, wenn sich die Wände blähten und wölbten. Hier rollte sie sich, wenn sie betrunken war, wie ein Fötus zusammen und leckte die Asche ihrer Zigaretten auf. Hierhin kamen ihre Freunde, stiegen mit ihren schmutzigen Schuhen auf das Bett und verkündeten ihre mottenzerfressenen Theorien über Kunst, nagelten Schlüpfer auf ihre fleischigen Akte oder fügten ihnen eine Nase oder einen Fuß hinzu. Ein schmutziger Bauch von einem Raum, der Gift und Finsternis hervorbrachte, schlüpfrig und dunkel wie der schillernde Schleim von Michelet.
    Den Besen in der Hand, ging er von Zimmer zu Zimmer.
    Eine Höhle! Ein stinkendes Verlies! Das Leben mit diesen beiden war wie ein Leben mit einem zweiköpfigen Ungeheuer.
    Er entzündete eine Kerze, hielt sie an die Wand und ging von einem Bild zum nächsten. Schwertschlucker, Nymphen mit Krampfadern, Dryaden und Hamadryaden, die am Mond
    lutschten, Monstrositäten in Schaugläsern, Skelette mit ausgefallenen Hüten, Springbrunnen, die wie Edelsteine funkelten, Leda und der Schwan, Gemüse, das sprechen
    konnte…
    Ein bleiches Licht sickerte herein, als er die Vorhänge aus schwerer Sackleinwand zurückzog. Draußen war es Tag! Tag!
    Ein Tag nach dem anderen vertröpfelte in Verwirrung, ohne Anfang und Ende. Wie die Gezeiten dem Mond folgten, so rollten die Tage dahin, einer nach dem anderen, und schwollen mal zu einer Flut wütender Geschäftigkeit an, um dann wieder in eine Ebbe von Untätigkeit zu fallen. Und dieser Strom, sagte man, war das Leben. Auf der Oberfläche dieses rastlosen Stroms bildeten sich Formen, leuchtend und energiegeladen; für einen unendlich kurzen Augenblick schenkte ihnen das Leben ein Leuchten und eine Ausgeglichenheit; im Aufblitzen ihres Vergehens umgab sie so etwas wie eine feierliche Bedeutung. Doch wie ein Meteor, der durch den kalten
    Weltraum rast, waren sie dann verschwunden; wie tote
    Meereslebewesen, leblos, ausgestorben, sanken sie unter die glatte Oberfläche, durch die undurchdringliche Düsternis schreckenerregender Tiefen, und blieben als Skelette auf dem Boden des Universums liegen. Geboren aus Gewalt und Chaos, aus Vergeblichkeit und Verzweiflung, erhoben sie sich aus der Urschwärze und dem Urschleim, nur um wieder
    zurückzufallen.
    Er fuhr mit der Kerze vor und zurück. Wie eine feurige Zunge leckte die Flamme über die Wände, bemalte einen zarten Arm mit schmutzigen Adern, ließ Körper tanzen und Muskeln beben. Farbflecken sprangen ihn an; sie waren wie die Spuren des Bösen, die man auf dem Gesicht eines
    schlafenden Freundes überrascht.

    6

    Gegen Mitternacht stieg er die Stufen zu dem kleinen Balkon bei »Paul & Joe’s« hinauf. Es war Sonntagabend. Der Balkon war voller Seeleute, die Arm in Arm mit gutaussehenden jungen Homosexuellen, die lispelten und verzückt die Augen verdrehten, auf und ab gingen. Auf dem Gang, in dem ein Gedränge herrschte wie in einer U-Bahn

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