Verrückte Lust
Also lieber: Er ist ein Mäzen – ein Mäzen mit einem kleinen m. Er hat auch etwas von einem Künstler, dieser Jake der Mäzen. Soll heißen, er hat in der Nähe ein Atelier – ein Atelier mit allem, was ein Künstler so braucht. Was bedeutet, daß er da auch ein
Samtjackett hat. Wenn er ein Modell braucht – bei »Lorber’s«
gibt es immer jede Menge davon –, geht Jake hin, zahlt die Rechnung, und fertig. Man ist der Meinung, daß Jake nicht nur ein anerkannter Künstler, sondern auch spendabel ist. Da er immer dasselbe malt – vielleicht ist »malen« eine etwas zu anspruchsvolle Bezeichnung für sein Gekleckse –, übt Jake Sparsamkeit, indem er immer wieder dieselbe Leinwand
benutzt. Vanya, die nie irgendwelche Skrupel hatte, nackt zu posieren, ist eines der Modelle, die Jake auswendig kennt.
Man trifft hier auch noch andere Philanthropen. Da gibt es zum Beispiel einen Kapitän auf großer Fahrt und seinen ersten Offizier und einen verhutzelten alten Kerl mit einem
meergrünen Bart, der früher in der U-Bahn Fahrscheine
geknipst hat; außerdem gibt es einen Schachspieler namens Roberto und einen Chiropraktiker, der unter anderem die Kunst des Jiu-Jitsu beherrscht. Und es gibt Leslie, den pickligen Tölpel, der in Vanya verliebt ist und jetzt Taxi fährt.
Das ist bereits ein hübscher Grundstock an potentiellen Wohltätern. Es kommt bloß darauf an, sie getrennt zu halten oder gegeneinander auszuspielen. Der Kartenknipser zum Beispiel würde jederzeit eine Hypothek auf sein Haus
aufnehmen, um den jungen Damen zu helfen, doch er besteht darauf, daß sie Roberto mit dem rabenschwarzen Haar links liegen lassen. Ein komischer Kauz, dieser alte Kartenknipser.
Schreibt wirklich rührende Briefe, in einer altertümlichen Handschrift. Unterschreibt mit »Ludwig«. Seine Briefe werden unter brüllendem Gelächter von Tisch zu Tisch gereicht, selbst wenn der arme Kerl dabei ist und vielleicht gerade die Hand in die Tasche seiner langen Arbeitshose steckt, um einen Fünfer hervorzuholen.
Hin und wieder, schon um zu beweisen, daß sie tatsächlich ein domicile fixe haben, wird einer der edlen Ritter ins
»Leichenschauhaus« eingeladen. Wenn es darum geht, ein paar Lebensmittel ins Haus zu kriegen, ist Jake eine gute Wahl.
Kaum hat er seinen Hut abgelegt, fällt Vanya plötzlich ein, daß ja gar nichts zu essen da ist. Es folgt ein Augenblick gespielter Verlegenheit und Peinlichkeit. Dann sagt Jake unschuldig:
»Warum habt ihr mir nicht im Restaurant gesagt, daß ihr hungrig seid?« Aber da waren sie ja noch gar nicht hungrig.
»Na gut, dann laßt uns gehen und was zu essen einkaufen. Wir essen dann hier, oder?« Gut. Könnte nicht besser sein. Und sie nehmen Jake an der Hand und führen ihn zu einem teuren Delikatessengeschäft, wo man Kaviar und Gänseleberpastete,
»Maxwell House«-Kaffee, Pumpernickel und andere leckere Sachen kaufen kann. Wenn sie zurückkommen, haben sie
genug Vorräte für eine ganze Woche. Manchmal sagt Jake das selbst.
Nachdem man ihm etwas zu essen vorgesetzt und eine von seinen eigenen Zigarren angeboten hat, beklagt sich Hildred unfehlbar darüber, daß die Luft im Zimmer stickig ist. Sie geht zum Fenster, öffnet es einen Spalt weit und zieht das Rollo ein Stück herauf. Und siehe da: einen Augenblick später klingelt es an der Tür, und da steht ihr alter Freund Tony Bring. Was machst du denn hier, um diese Uhrzeit? Ach, er ist nur gerade vorbeigegangen und hat Licht brennen sehen und dachte, er sagt mal Hallo. Obwohl es, ehrlich gesagt, eine ziemliche Anstrengung für ihn ist, Hallo zu sagen – seine
Gesichtsmuskeln sind durch die Kälte fast gelähmt. Er ist bloß so vorbeigegangen. Keine Rede von den
zweihundertdreiundsiebzig Malen, die er »vorbeigegangen«
ist, bevor das Rollo heraufgezogen wurde…
Doch wenn der Kapitän auf großer Fahrt und sein erster Offizier eingeladen sind, legt Tony Bring eine unerwartete Dickköpfigkeit an den Tag. Als Grund für seinen Widerwillen führt er nicht mehr die Kälte an, denn er hat genug Kleingeld und könnte sich bei »Bickford’s« in einen Sessel setzen. Es ist reine Dickköpfigkeit. Oder traut er diesen rauhen, aufrechten Seeleuten vielleicht nicht? Jedenfalls weigert er sich, das Feld zu räumen. Besteht darauf, sich in Vanyas Zimmer
einzuschließen…
Und so lag er, während nebenan geschlemmt wurde, im
Dunkeln, lauschte dem Gurgeln des Wassers und versuchte, die Gesprächsfetzen, die an sein Ohr
Weitere Kostenlose Bücher