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Verrückte Lust

Verrückte Lust

Titel: Verrückte Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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wollen, kommen
    immer wieder an den Tag.«
    Sie schien ganz beruhigt zu sein, denn als sie wieder im Bett lag, schlief sie sogleich ein. Sie war immer beruhigt, wenn sie im Badezimmer gewesen war. Diese Sonderzustellung jedoch war für die kleine Nonne in ihrer Zelle sicher eine
    Überraschung gewesen. Ob sie wohl die Handschrift aus ihrer Prä-Romanow-Zeit wiedererkannte? »Mein Sodom und
    Gomorrha!« So fing der Brief an. »Du, die so leichtherzig ihre grünen Lippen umherwirft. Männer in bunten Hemden,
    Athleten mit Stiernacken… immer nehmen Geliebte vor diesen schweren Türen Abschied voneinander. Der Fluß hat eine starke Strömung, und tote Ratten werden schnell
    davongetrieben, doch ich bin keine tote Ratte. Da ist ein Revolver, aber die Kugeln bleiben immer stecken. Ich habe es nicht geschafft, Selbstmord zu begehen… aber ich liebe Dich, Hildred. Ich liebe Dich schrecklich.« (Zweifellos eine schrecklich platonische Liebe, diese Liebe zwischen Sodom und Gomorrha.) »Hildred, Du wärst eine außergewöhnliche, feinfühlige Perverse (Entschuldigung!), wenn dieses ganze teuflische Chaos, von dem Du umgeben bist, nicht wäre. Siehst Du denn nicht, was Du in Dir hast?« Seitdem hatte diese feinfühlige kleine Perverse natürlich in den juwelenbesetzten Sarg ihrer Seele geschaut und gesehen, was darin war. Er dachte an Minna, die Norwegerin mit den Bratpfannen, die ihr um den Hals hingen. Wie war es ihr gelungen, den Deckel dieses mit Satin ausgeschlagenen Sarges zu öffnen, und was hatte sie darin gefunden? Waren außer Athleten mit
    Stiernacken auch Skelette darin? Und wo war in diesem
    Geruch nach Räucherwerk und Parfüm der Ehemann? War
    auch er dort abgelegt, zusammen mit den bunten Hemden und den Kugeln, die immer steckenblieben?
    Sie lag dicht neben ihm, entspannt, reglos, und ihr Gesicht war ihm in friedlicher Trance zugewandt. Ihr Atem roch leicht nach Alkohol. Doch sie war schön… schön. Keine Spur von Bosheit, von Lügen oder Rauschgift. Unschuld. Erhabene Unschuld. Ich liebe Dich, Hildred, ich liebe Dich schrecklich.
    Es war ein Wunder, daß die Leute sich nicht auf der Straße ihr zu Füßen warfen. Es war ein Wunder, daß sie aus Fleisch und Blut war, keine Statue, keine Blume, kein Edelstein. Eine außergewöhnliche, feinfühlige Perverse… Er betrachtete ihre Stirn, so glatt, so friedlich, so absolut undurchdringlich. Eine Ansammlung von Geheimnissen, sogar für sie selbst. Was war hinter dieser Wand aus Fleisch und Knochen? Konnte er
    hoffen, je zu erfahren, was dort vor sich ging? Angenommen, sie sagte in einem Augenblick tiefer Zerknirschung zu ihm:
    »Ich werde dir alles enthüllen.« Selbst dann würde er es nicht wissen. Er würde nur wissen, was er wissen sollte, mehr nicht.
    Das Bewußtsein seiner Hilflosigkeit ergriff so stark Besitz von ihm, daß er schließlich die Augen schloß und sich einer Phantasie von wilder, brutaler Grausamkeit hingab. Er sah, wie er sich wie ein kühler, forschender Vivisektor mit einem Skalpell über sie beugte, den Schädelknochen freilegte und mit ruhiger Hand durchsägte, um die weichen, stumpfgrauen Windungen zu entblößen, dieses zarte, wohlschmeckende
    Gewirr von Geheimnissen, die niemand zu enträtseln
    vermochte. Ein kaltes, freudloses Lachen entfuhr ihm – jene Art von Lachen, das man nur allein lacht. Ein Lachen, das ein Hund ausstoßen würde, wenn er die Witze der Menschen
    verstehen könnte. Er rief sich die hohlen Formeln aus den Witzbüchern der Gelehrten ins Gedächtnis. Sie konnten alles, was es im Universum gab, erklären, auch Gott den
    Allmächtigen, nur sich selbst nicht. Sie stocherten in Eingeweiden herum, kochten unsichtbare Mikroben, wogen das Unwägbare, extrahierten die Säfte von Wut und Eifersucht, analysierten die Zusammensetzung von Planeten, die für das Auge nicht größer waren als ein Stecknadelkopf – doch das Schwierigste für sie war zuzugeben, daß sie nichts wußten.
    Oder wenn sie es eingestanden, dann drückten sie sich so kompliziert und geschwollen aus, daß man ihnen unmöglich glauben konnte. Niemand vermochte so viel über nichts zu sagen wie die Männer, die so taten, als wüßten sie nichts.
    Mit diesem Geplapper auf den Lippen fiel er in einen tiefen Schlaf, in dem er träumte, er hänge an den Füßen vom Dach eines Güterwaggons. Er konnte nur den Boden und die Käfige der Männer neben ihm sehen. Der Waggon war voller Käfige, mannshoher, runder Käfige, die an der Decke befestigt waren.
    Alle

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