Verrückte Lust
drangen,
zusammenzustückeln. Zeitweise kam es ihm vor, als fände überhaupt kein Gespräch statt, doch wurde er später darüber aufgeklärt, daß diese Gesprächspausen durch eine stille Versenkung in Vanyas Gedichte entstanden seien. Daß er es gewagt hatte, schmutzige Unterstellungen auch nur zu denken, war Anlaß für bissige Bemerkungen. Es war Hildred, die feststellte, daß ein Seemann ebensosehr ein Gentleman sein konnte wie jeder andere, vielleicht sogar noch mehr.
Kurz nach diesem Besuch jedoch trat eine jener
Widersprüchlichkeiten zutage, die den Beziehungen zwischen Menschen zu eigen sind, und die beiden kamen sehr erregt nach Hause. Das war, nachdem sie mit den beiden galanten Seeleuten im Theater gewesen waren.
»Was meinst du, was diese beiden Schweine versucht
haben?« Es war Hildred, die, kaum daß sie zur Tür herein war, derart explodierte.
Tony Brings Phantasie war in einem Maße geschwächt, daß er bekennen mußte, er habe nicht die leiseste Ahnung, was sich ereignet haben könnte.
»Sie haben versucht, uns zu küssen – kannst du dir das vorstellen? Wir saßen im Taxi und haben…« Sie wandte sich an Vanya. »Worüber haben wir nochmal geredet?«
Und Vanya antwortete mit einem süßlichen Grinsen: »Du
hast versucht, ihnen zu erklären, was Sadismus ist.«
»Genau, das war’s – Sadismus… Ich versuche gerade, in ihre dicken Schädel zu kriegen, was das ist, als ich plötzlich merke, daß sich ein Arm um meinen Hals legt. Es war dieser alte Drecksack, der Kapitän. Er sagte, ich müßte ihm einen kleinen Kuß geben…«
Sie hielt einen Augenblick inne, um zu sehen, welche
Reaktion dieser »kleine Kuß« hervorrief, doch da Tony Bring nicht einmal leichte Verwunderung zeigte, fuhr sie mit ein wenig zu dick aufgetragener Wut fort: »Ich hab ihm eine saftige Ohrfeige verpaßt!«
Vanya mußte kichern. Das schien Hildred noch mehr
aufzuregen als das beleidigende Benehmen der beiden Herren im Taxi.
»Was ist los mit dir?« schrie sie.
»Ach, nichts«, sagte Vanya und wandte das Gesicht ab.
»Und weiter ist nichts passiert?« fragte Tony Bring. Er begriff nicht, was die ganze Aufregung sollte. Er sah Vanya an
– sie konnte sich nur mühsam beherrschen.
»Ich verstehe nicht, was es da zu lachen gibt«, rief Hildred wütend. »Hab ich ihm etwa keine Ohrfeige gegeben? Na? Und du, was hast du getan?«
Es folgte eine Szene, in der das Wort »Schlampe« hin und her flog. Er hörte verwundert zu. Hildred nannte ihr liebes krankes Genie, ihre Prinzessin, eine Schlampe! Schließlich lief Vanya in ihr Zimmer, schlug Hildred die Tür vor der Nase zu und schloß ab. Nach einer Weile hörten sie sie schluchzen.
»Du lieber Himmel, nun geh doch schon zu ihr und beruhige sie«, sagte Tony Bring. »Ich halte dieses Geräusch nicht aus…
Man könnte meinen, es schneidet ihr jemand die Kehle durch.«
Aber Hildred rührte sich nicht. Sie teilte ihm mit, es gebe Dinge, die unverzeihlich seien.
Was für Dinge? fragte er sich. Was hatte das alles zu
bedeuten? Nur ein kleiner Kuß? Das konnte es nicht gewesen sein. Was war wirklich passiert? Seine Phantasie lief heiß. Im Lauf der Zeit würde es schon herauskommen, aber… Er hörte Vanya schluchzen, als bräche ihr das Herz. Und dann, gerade als es unmöglich schien, es auch nur einen Augenblick länger zu ertragen, hörte das Schluchzen auf, und es trat eine lange, unheilvolle Stille ein. Vielleicht begeht sie eine
Verzweiflungstat, dachte er, und seine Gedanken Hefen ab wie ein Uhrwerk: Polizei, gerichtliche Untersuchung, Schlagzeilen, Friedhof, Selbstmord, Verzweiflung, Überdruß, Enttäuschung.
Wenn sie es nur täte! Tu es, du Zicke! Er fuhr hoch, als ein Schrei ertönte, der das Blut gefrieren ließ, gleich darauf gefolgt von einem Gerumpel, als würden Schuhe umhergeworfen.
Hildred sprang auf, rannte zu Vanyas Zimmer und hämmerte mit beiden Fäusten an die Tür. »Vanya… liebe Vanya, mach auf. Bitte, Vanya… Ich will mit dir reden…« Einen Augenblick lang herrschte tiefe Stille, dann ertönte eine Salve von Flüchen. »Vanya… Vanya! Es tut mir leid… Verzeih mir!
Bitte, Vanya… bitte, mach auf!«
Sie hörten sie da drinnen wüten und gegen die Möbel
stolpern, hin und her, hin und her, wie eine Verrückte. Dann ihre seltsame, wütende Stimme, die wie ein betrunkener Engel brüllte, wie ein Engel mit einem russischen Akzent, ein Engel, in dessen Kehle ein Grammophon steckte, das langsam auslief, und eine Stimme, die
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