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Verrückte Zeit

Verrückte Zeit

Titel: Verrückte Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Wilhelm
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EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL
     
     
    Manchmal war er bei ihr, und seine Hand hielt die ihre, führte sie; dann war er weg, kam jedoch jedesmal bald darauf wieder, um ihr den Weg zu weisen oder einfach nur bei ihr zu sein und ihre Hand zu halten. Sie machten bei einem halbzerfallenen Holzsteg halt; Tümpel aus Licht schimmerten in regelmäßigen Abständen auf seiner ganzen Länge. Die Boote, die hier vertäut waren, wären im Jachtklub ebenso fehl am Platz gewesen wie Corky selbst. Fischerkähne, ein oder zwei Hausboote, Segelboote mit primitiver Takelage und zweifellos nicht weniger primitiven Segeln, die irgendwo verstaut waren und darauf warteten, den Launen eines ärmlichen Seglers zu gehorchen; es gab Innenbordmotoren, mit denen man durch ruhiges Gewässer fahren konnte, zum Beispiel von der Bucht bis zu den Inseln des Sunds.
    Das Boot, das er ausgesucht hatte, erschien ihr unmöglich klein, gefährlich, doch er führte sie schweigend an Bord, stieß den Kahn vom Steg ab, tauchte ein Ruder ins Wasser, steuerte sie weiter hinaus und immer weiter. Die Beleuchtung auf dem Steg war spärlich gewesen; niemand hatte sich in Sichtweite aufgehalten. Jetzt konnten sie nur noch das leise Klatschen der Wellen gegen das Boot und das weniger leise Platschen des Regens ringsum hören. Sie sah nichts vor ihnen; hinter ihnen verschwanden die Lichter schnell, verborgen im Regen und Dunst.
    Corky wartete, bis sie ein beträchtliches Stück vom Steg entfernt waren, bevor er den Motor anwarf. Es hörte sich an wie ein Kanonenschuß. Er drosselte ihn, sie hoben sich vorn etwas aus dem Wasser und tuckerten in die Finsternis.
    Sie hatte Angst vor dem schwarzen Wasser, vor dem gefährlichen kleinen Boot, dem Regen, einem Sturm, der unerwartet aufkommen und sie meilenweit abtreiben könnte, bevor er sie schließlich umwerfen würde, vor Haien, Killer-Kraken, Piraten, Trigger Happy und seinen Leuten.
    »Ich brauche dich«, sagte Corky nach einigen Minuten. Sie konnte ihn nicht einmal sehen. Der Regen hatte sie bis auf die Haut durchnäßt, sie zitterte vor Kälte. Sie kroch durch die Dunkelheit auf seine Stimme zu. »Gut«, sagte er und legte die Hand auf die ihre, um sie zum Steuerruder zu führen. »Halte es genau in dieser Stellung. Ganz gerade.« Er war verschwunden.
    Beinah hätte sie vor Entsetzen laut aufgeschrien, doch sie hatte Angst, Angst, tief durchzuatmen, Angst, sich zu bewegen. Sie schloß die Augen und hielt das Ruder fest.
    »Okay«, sagte er, als er wieder zurück war. Er korrigierte die Ruderstellung etwas und ließ seine Hand auf der ihren liegen. »Ich gehe in einer Minute wieder nachsehen«, sagte er mit alberner Fröhlichkeit in Anbetracht seiner Situation: nackt, auf der Flucht vor der Armee der Vereinigten Staaten sowie vor dem FBI und vor weiß Gott wem noch alles, mitten im Sund in einer pechschwarzen Nacht, bei strömendem Regen. Er war glücklicher als je in seinem Leben, dachte er, während er ihre Hand hielt und ihren Körper dicht bei seinem spürte.
    Er überprüfte noch zweimal ihre Position; jedesmal zerfloß er neben ihr, ließ sei eine Minute lang allein und änderte nach seiner Rückkehr ihre Richtung geringfügig. Schließlich bremste er in der Nähe des Ufers ab und sagte: »Du mußt hineinsteuern. Ich werde den Weg auskundschaften, aber ich kann nicht beides.«
    Sie schüttelte heftig den Kopf, doch er war bereits verschwunden. Immer geradeaus, bis er Anweisung für eine Richtungsänderung gäbe, dachte sie schicksalsergeben. Sie könnte auf einen Felsen prallen, ein vor Anker liegendes Boot rammen, auf ein Unterseeboot auflaufen oder einem Walfisch begegnen, doch sie würde immer geradeaus steuern, bis er ihr etwas anderes sagte. Sie biß sich auf die Lippe und strengte die Augen an, um etwas zu sehen. Er erschien für einen Moment, verschob das Steuerruder, war wieder verschwunden. Sie glitten langsam weiter, und plötzlich merkte sie, daß das Boot über festen Grund schabte.
    Der Motor ging aus. »Hilf mir, es noch ein bißchen weiter an Land zu ziehen«, sagte er, und sie kletterte über den Bootsrand und sprang in das eiskalte Wasser, das ihr bis zu den Knien reichte; gemeinsam zogen sie das Boot heraus, weit genug, daß es nicht so leicht weggespült werden konnte. Dann berührte seine Hand ihren Ellbogen, und er führte sie weiter.
    »Unsere Kleider«, sagte er und hielt die kleine Reisetasche hoch, die sie gepackt hatte. Er flüsterte nun nicht mehr, und brauchte auch den Krach

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