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Verrückte Zeit

Verrückte Zeit

Titel: Verrückte Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Wilhelm
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einfach erst einmal aufschreiben, an was ich mich erinnere, und es dann nach Tagen sortieren. Wie findest du das?«
    »Okay. Aber … Es gibt doch verschiedene Abschnitte, oder nicht? Ich meine, in diesem Moment siehst du sehr körperhaft aus und so, als ob du ganz hier wärst, aber im Boot, im Auto, bei anderen Gelegenheiten bist du sozusagen beliebig gekommen und gegangen.«
    Er nickte. »Es ist wie ein Muskel, den ich irgendwo da drin habe.« Er klopfte sich auf die Magengegend. »Ich kann ihn anspannen oder locker lassen oder das Ganze einfach vergessen.«
    »Du kannst ihn beherrschen?«
    »Nicht immer. Manchmal geht er mir durch.« Sie starrte mit zusammengekniffenen Augen an ihm vorbei. »Was hast du, Lauren?«
    Sie blinzelte und zeichnete zwei Linien, die am Anfang parallel liefen; dann verengte sich ihr Winkel immer mehr zu einem Trichter, bis sie sich schließlich trafen. An der breiten Seite zeichnete sie ein Oval, das den Raum zwischen den beiden Linien vollkommen ausfüllte. »So bist du jetzt, körperhaft, sichtbar, normal. Aber irgendwo hier drin verschwindest du, bist immer noch da, aber unsichtbar. Auf dem Weg entlang dieser Linien verlierst du alles Körperhafte, und du kannst gleichzeitig hier und dort sein, wie zum Beispiel im Auto und im Boot. Aber du weißt dabei immer noch genau, was du tust, dein Bewußtsein arbeitet noch. Dann kommt das Nichts. Das ist erschreckend. Wo bist du dann? Warum kannst du dich an nichts erinnern?«
    »Das wollte ich ja herausfinden«, sagte er finster. »Als erstes müssen wir versuchen, einige Anhaltspunkte festzulegen. Das nächste, an das ich mich erinnere, ist mein Großvater auf seiner Farm in Arkansas. Ich weiß nicht, wann das war.« Nach und nach fügte er alle Teilstücke ein, an die er sich erinnerte – wie er einmal seine Unterlagen in einem Hotelzimmer entdeckt hatte, ein andermal in dem Gewölbe mit den Sicherheitsfächern, wie er Joanna und andere Freunde gesehen hatte. Er erinnerte sich, wie er in Laurens Apartment geschlafen, sich rasiert und Morris und noch einen Mann dort beobachtet hatte. Sie schüttelte den Kopf bei der Vorstellung, daß er in ihrer Wohnung geschlafen hatte, ohne daß sie ihn wahrgenommen hatte. Er zuckte die Achseln und schrieb weiter schnell alles auf, an das er sich eindeutig erinnerte. Als er fertig war, bis zu dem Tag, an dem er und Lauren nach Whidbey Island gefahren waren, waren insgesamt weniger als acht Stunden zusammengekommen, von denen er mit Bestimmtheit sagen konnte, wie er sie verbracht hatte.
    Sie hörten im gleichen Moment zu schreiben auf, und sie lächelte schwach. »Du hast unser Essen an jenem Tag versaut! Du warst es, der alles auf dem Tisch umgeworfen hat!«
    Er nahm ihre Hand. »Ich hatte Angst, du würdest auf ihn hereinfallen, und das wäre ziemlich schlimm gewesen.«
    »Du hast dich berufen gefühlt, mein Beschützer zu sein«, murmelte sie. »Mein starker Held.«
    »Und was für ein Held! Wenn ich dich in Ruhe gelassen hätte, dann könntest du jetzt in Frieden leben, anstatt auf einer abgelegenen Insel zu sitzen und zu bangen, ob sie dich wegen subversiver Umtriebe oder so etwas anklagen werden.«
    »Für mich bist du Held genug«, sagte sie leise und spürte, wie sie rot wurde.
    Sie standen auf, wobei sie sich immer noch an den Händen hielten. »Wir haben zuviel gedacht und sind zuviel gelaufen«, sagte Corky. »Ich denke, wir sollten uns jetzt etwas ausruhen.«
    Sie lachte, und sie gingen ins Schlafzimmer.
     
    Er betrachtete sie beim Schlafen; den Kopf hatte er auf die Hand gestützt, bis sein Arm langsam gefühllos wurde. Schließlich rollte er sich so vorsichtig, daß er sie nicht aufweckte, zur Seite und aus dem Bett. Er zögerte immer noch und betrachtete sie, die schönste Frau, die er je gesehen hatte; er liebte ihren schlaksigen, jungenhaften Gang, ihre zartgliedrigen Füße und Hände mit den ausgeprägten Knochen und die Art, wie sie den Kopf senkte, wenn ihre Wangen glühten. Und er wußte, daß er für sie der letzte Mann auf der Welt war. Das Schlimmste, das ihr jemals widerfahren könnte, hatte er ihr beschert.
    Er hob seine Kleider vom Boden auf und ging auf Zehenspitzen in den anderen Raum, um sich anzuziehen und nachzudenken. Das Brüllen des Wassers, das durch die schmale Meerenge schäumte, war aus dieser Entfernung beruhigend; wenn man im Freien war, war es so laut, daß man es bei wechselnden Gezeiten mit der Stimme kaum übertönen konnte. Es war, als ob ein Riese Wasser

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