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Verrückte Zeit

Verrückte Zeit

Titel: Verrückte Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Wilhelm
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einatmete und es in gewaltigen Strudeln ausatmete.
    Die Sonne sank tiefer und zeichnete lange Striche aus tanzenden Staubteilchen; die Fenster waren so sehr vom Meeresdunst beschlagen, daß das Licht, das durch sie hindurchfiel, eine blaßgelbe Farbe hatte, während die Staubschwaden silbern schimmerten. Er wußte, daß er die Vorbereitungen für ein Feuer treffen sollte, bevor es in der Hütte noch kälter wurde, doch er stand da und rührte sich nicht. In den Lichtstrahlen tanzte der Staub, doch Staub war überall, nur daß er in diesem Streifen besonders leuchtete, mit zufälligen Tanzbewegungen, ganz nach den Launen der Luftströmungen.
    Schnell setzte er sich an den Tisch und griff nach einem Blatt Papier. Etwas, irgend etwas, dachte er; der Staub erinnerte ihn an etwas. Er begann, Skizzen zu zeichnen.
    Er zeichnete die Parallellinien neu, füllte den Zwischenraum mit einem Strichmännchen aus. So kennzeichnet man normalerweise einen freien Raum, dachte er; er ließ die Linien langsam zusammenlaufen und fügte wieder das gleiche Strichmännchen hinzu, wobei einige Teile darüber und darunter herausragten. Das war der Zustand, in dem er immer noch ziemlich körperhaft, jedoch unsichtbar war. Er war in die Betrachtung der beiden zusammenlaufenden Linien versunken; er lehnte sich zurück und legte den Stift aus der Hand. Wohin verschwanden die überstehenden Teile? Ab welchem Punkt verließ ihn sein Gedächtnis? Er erkannte, daß er experimentieren müßte, um das herauszufinden, und der Gedanke erfüllte ihn mit Schrecken.
    Er spürte Laurens Anwesenheit, und als er sich umdrehte, sah er, daß sie in der Tür stand und ihn beobachtete. Sie war in eine dünne Decke gehüllt, die sie einer Zedernholztruhe entnommen hatte. Wie gehetzt stand er auf und ging zum Herd, um das Feuer neu aufzubauen und zu schüren. Bevor er irgendwelche Experimente machte, müßte er sie zum Festland zurückbringen, beschloß er, während er in dem Holz herumstocherte. Er durfte nicht das Risiko eingehen, sie hier allein zurückzulassen, und er wußte nie, wann er zurückkehrte, und ob überhaupt.
    »Nach Einbruch der Dunkelheit«, sagte er und sah ihr ins Gesicht. »Ich werde wieder ein Boot besorgen, und dann fahren wir in der Abenddämmerung zurück. Ich werde diesmal eins aussuchen, mit dem wir bis nach Seattle fahren können. Okay?«
    »Gut. Das wollte ich auch vorschlagen.«
    »Yeah, das beste ist, wir trennen uns. Du kannst ihnen ja erzählen, daß ich dich mit vorgehaltenem Gewehr gezwungen habe, dich mir zu ergeben.«
    »Na gut.« Sie ging zum Fenster und sah ihn nicht an.
    »Das ist für uns beide das Beste«, sagte er. »Wir sind nicht füreinander geschaffen. Ich meine, ich habe weniger als hundert Dollar auf dem Konto, und ich kann nichts abheben. Ich werde immer auf der Flucht sein, das weißt du.«
    »Das weiß ich. Doch sie werden dich nicht kriegen, und wenn sie dich kriegen, dann können sie dich nicht festhalten, und wenn sie dich festhalten, dann können sie dir nichts antun, ist es nicht so?«
    »Ich weiß nicht genau.« Er hielt den Schürhaken in der Hand, und plötzlich erinnerte er sich an den Agenten, der in dem Ferienhäuschen auf der Insel Whidbey mit dem Schürhaken nach ihm ausgeholt hatte. Daraufhin war er in vielen Teilen davongestoben. Und er dachte daran, wie Lauren versucht hatte, ihn mit ihrem Schirm zu schlagen; auch damals war er zerstoben. Vielleicht hatte sie recht. Er stellte den Schürhaken ab und schloß die Ofentür.
    »Ich könnte mir denken, daß Buenos Aires gar nicht so schlecht wäre«, sagte sie. »Ich habe gelesen, daß es dort eine große Europäergemeinde gibt.«
    »Faschisten.«
    »Einige davon sicherlich, aber es gibt auch andere.« Sie legte die Stirn an die Fensterscheibe. »Kannst du auf einmal eine so weite Strecke zurücklegen?«
    »Ich könnte es in mehreren Hopsern schaffen, wenn es sein müßte. Und wenn ich dort angekommen bin, kann ich mir etwas zu essen klauen und mich irgendwo zum Schlafen hinlegen. Kein Problem.«
    »Ich dachte mir, daß es keine geben würde. Du darfst natürlich nicht schreiben oder anrufen oder sonst irgendwie mit mir Verbindung aufnehmen.«
    »Natürlich.«
    »Gut«, sagte sie und wandte sich mit einer schnellen Bewegung vom Fenster ab. »Ich werde mich anziehen. Möchtest du noch etwas Spazierengehen, bevor es dunkel wird?« Sie blieb an der Tür stehen. »Oh, du solltest dir ein Boot besorgen, bevor es dunkel wird. Du kannst nicht gleichzeitig den

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