Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verrückte Zeit

Verrückte Zeit

Titel: Verrückte Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Wilhelm
Vom Netzwerk:
leistungsfähig war.
    Während sie aufblickte und Roger Guest ihr Büro betreten sah, betrat im gleichen Moment Morris Pitts mit einem anderen Agenten ihre Wohnung.
    Corky dachte immer noch angestrengt nach, während sie aus dem Aufzug stiegen. Er betrat das Apartment mit ihnen, wohl wissend, daß es besser wäre, wenn er sich noch nicht blicken ließe, jedenfalls nicht, bevor er einen festen Plan hatte. Er entspannte den Muskel, und hinter ihm flatterte ein großes Badetuch zu Boden. Morris blieb stehen, lauschte, dann ging er weiter in den Wohnungsflur, gab seinem Kollegen, Edgar, ein Zeichen, ebenfalls hereinzukommen, und sie machten sich an die Arbeit. Corkys Mittelpunkt beobachtete sie verstört, während sie alles durchstöberten und überall herumschnüffelten, Fingerabdrücke nahmen, einige rote Haare aus Laurens Rasierapparat zogen, durch ihre Briefe und Rechnungen und Belege blätterten und ganz allgemein alles durchwühlten.
    Hin und wieder warfen sich Morris und Edgar vielsagende Blicke zu, und obwohl keiner von ihnen es ausdrücklich erwähnte, spürten beide die Gegenwart von etwas Merkwürdigem in diesem Apartment. Alles machte den Eindruck, als hätte es gerade eben noch jemand benutzt, als wäre noch Sekunden zuvor jemand hier oder dort gewesen, nicht etwa vor Stunden, wie es der Fall war, soviel sie wußten. Der Kaffee war noch heiß, zum Beispiel. War er nicht ganz frisch gemacht? Morris hatte den Eindruck und machte sich eine entsprechende Notiz. Lagen nicht zu viele feuchte Handtücher herum? Er machte sich wieder eine Notiz. Der zusammengerollte Bettüberwurf auf der Couch? Er betrachtete ihn lange, bevor er ihn berührte. Er konnte sich nicht vorstellen, daß jemand einen Bettüberwurf auf so ungewöhnliche Art zusammenrollen würde und warum. Er ertappte sich mehr als einmal dabei, daß er angespannt lauschte, und mehr als einmal drehte er sich blitzartig um und erwartete, hinter sich jemanden zu sehen.
     
    Corky steckte in Morris, als dieser beim Essen saß und sagte: »Charlestown, Indiana, nördlich von Louisville am Ohio. Mein Vater arbeitete in der Munitionsfabrik. Etwas anderes gab es dort nicht, glaube ich. Doch ich konnte es nicht abwarten, endlich von dort wegzukommen. Und Sie?«
    »Frankfort, Kentucky. Mein Vater war Justizangestellter am Obersten Gericht von Kentucky. Auch ich konnte es kaum erwarten.« Corky spürte ihr Unbehagen, als sie lächelte und fast um Entschuldigung bittend sagte: »Richter kamen und gingen, doch die Angestellten blieben für alle Zeit. Von ihnen und ihren Familien wurde verlangt, daß sie ein sehr solides Leben führten.«
    Corky schwebte ein und aus und hin und her in ihrer Unterhaltung bei Froschschenkeln in Knoblauch-Weißwein-Sauce, Spargel vinaigrette und schließlich Kaffee und Himbeeren aus Argentinien. Er hörte einige Male zu, wie Trigger Happy Musselman mit Washington telefonierte und wie Joanna, der Mehlkloß, die nicht sehr feinfühlige Einladung ihres neuen Freundes, mit ihm ins Bett zu gehen, ablehnte. Mit Peter Waycross kam er zu dem Schluß, daß vierzig wirklich zu alt sei, während er einer Frau zuhörte, die sich über die Probleme mit der Tochter ihres Mannes beklagte, und er steckte in der Frau, die dachte, daß Peter der bestaussehende Mann sei, mit dem sie je in ihrem Leben allein gewesen war. Er zuckte nervös mit Rich Steinman und spannte die Muskeln mit Warren Foley; er litt an Übermüdung mit Bill Bentson, dessen Sicht langsam verschwommen wurde. Er studierte die Computerausdrucke mit Mallory Akins und fand schließlich den vierzehnjährigen Jungen, der gerade aus der Schule kam und verlegen so tat, als ob er nicht merkte, wie ihn ein hübsches schwarzhaariges Mädchen verstohlen beobachtete. Hot Dog, dachte Corky, und schwebte zu dem Mädchen, wo er die Erfahrung machte, welches Gefühl es war, verzweifelte Angst vor einer bevorstehenden Algebraprüfung zu haben und dem einzigen Jungen in Reichweite, der einem helfen könnte, schöne Augen zu machen, auch wenn er ein bißchen zu dick war.
    In einem winzigen Zimmer in einer Wohnung im dritten Stock leierte eine Frau Worte herunter, deren Bedeutung Corky nicht begriff, doch ein Teilchen von ihm war interessiert an einem Teilchen der Frau, das genauso frei herumschwebte wie er. Sie umkreisten einander wie Hunde, die sich neu kennenlernten, und Corky spürte, wie ihn etwas nach innen zog, wie ihn das eine Stückchen, das irgendwie dehnbar und endlos geworden war, ringsum umgab.

Weitere Kostenlose Bücher