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Verrückte Zeit

Verrückte Zeit

Titel: Verrückte Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Wilhelm
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als der Aufzug ankam und der Führer rief: »Abwärts! Letzte Fahrt!«
    Einen Moment lang hielt er ihren Blick noch gefangen, dann grinste er leicht und nahm sie am Arm. »Ich verlange eine Wiederholung der Veranstaltung!« sagte er leise.
    Was nur wenige Leute verstanden, dachte er, während er mit ihr im Aufzug hinunterfuhr, die Hand fest auf ihren Arm gelegt, war, wieviel Vergnügen es bereitete, eine Forelle an Land zu ziehen, sie kurz in der Hand zu halten, bevor man sie weitergab. Er hatte das gleiche starke Bedürfnis, sie zu küssen, wie sie es umgekehrt hatte. Er hatte ein ebenso starkes Bedürfnis, mit ihr ins Bett zu gehen, wie sie es hatte, dachte er, und unbewußt verstärkte sich der Griff um ihren Arm.
    Sie hatten den Aufzug verlassen und gingen an der Straße entlang, als er plötzlich stehenblieb. »Lauren, warten Sie einen Moment, ja? Da ist etwas …« Er machte ein paar große, schnelle Schritte von ihr weg und packte einen Mann an der Schulter, um ihn mit einem Ruck herumzureißen. Sie konnte nicht hören, was die beiden miteinander sprachen. Morris hatte die Hände zu Fäusten geballt, und der andere Mann wich zurück, dann zeigte er Morris etwas. Seine Fäuste öffneten sich. Noch eine Weile lang bewegte sich keiner der beiden Männer, dann kam Morris zurück zu ihr. Er sah angespannt aus.
    »Lassen Sie uns weitergehen«, sagte er mit straffer Stimme, seiner Rechtsanwaltstimme, dachte sie.
    Sie blickte über die Schulter zurück. Der andere Mann kam ihnen nach. »Wer ist das? Er verfolgt uns, nicht wahr?«
    »Sie«, sagte Morris mit dieser fremden Stimme. »Er ist vom FBI, und er verfolgt Sie. Das ist nun schon das dritte Mal heute, daß er mir aufgefallen ist.« Er blieb wieder stehen und sah ihr ins Gesicht, nahm sie bei den Schultern und blickte ihr auf eine Art forschend in die Augen, die sie nervös machte. »Sind Sie in Schwierigkeiten? Den ganzen Nachmittag über habe ich mir meine Probleme von der Seele geredet. Ich bin gar nicht auf die Idee gekommen … Lauren, haben Sie Kummer? Ich bin Anwalt, wie Sie wissen. Lassen Sie mich Ihnen helfen.«
    Sie starrte ihn an und dann den FBI-Mann, der angehalten hatte und überall hinsah, nur nicht in ihre Richtung. Sie wandte sich Morris wieder zu und nickte.
     
    Sie wanderte in seiner Wohnung auf und ab, ohne etwas davon zu sehen. Unter den Fenstern funkelten und glitzerten die Lichter von Seattle. Ein Flugzeug überquerte die Stadt mit roten und grünen Lichtern wie ein Weihnachtsbaum am Himmel. Sie wandte sich mit einem Ruck vom Fenster ab und ließ sich schließlich auf die weiche Couch sinken. Morris stellte einen Drink vor sie hin.
    »Trinken Sie das«, sagte er. »Sie können etwas gebrauchen.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich glaube, ich werde wahnsinnig.«
    Er nahm mit einem Glas in der Hand in einem der hellen Sessel Platz; sein Gesichtsausdruck war neutral, sein Blick fest auf sie gerichtet. »Ich werde Sie als Anwalt vertreten«, sagte er. »Ich werde am Montag eine formelle Vollmacht ausstellen lassen. Als Ihr Anwalt kann ich erreichen, daß man Sie nicht mehr belästigt, wenn das der Fall ist, aber nur, wenn ich weiß, was vor sich geht. Lauren, erzählen Sie mir, was vor sich geht!«
    »Ich weiß nicht einmal, was sie von mir wollen!« rief sie aus, und jetzt ergriff sie das Glas doch und nahm einen großen Schluck. Scotch mit Wasser. Sie haßte Scotch mit Wasser. Sie kippte noch einen Schluck hinunter. »Letzte Woche ist mir ein Mann ins Büro gefolgt, am Donnerstag abend, und er verschwand im Gang des siebten Stocks. Und es wurde behauptet, wir hätten sein Verschwinden gemeinsam ausgeheckt, um die Versicherung zu betrügen, wie die Polizei sagte.« Sie trank wieder.
    Morris blickte sie kopfschüttelnd an, besorgt, wie ihr schien. »Das ist Angelegenheit der Polizei, nicht des FBI. Und weiter?«
    »Nichts weiter! Er ist tot, und ich habe nichts unternommen. Ich habe ihn ein paarmal gesehen. Halluzinationen. Er erscheint mir als Geist!« Sie kippte den Rest des Scotch hinunter und setzte das Glas mit zuviel Wucht ab. »Das ist alles. Ich verliere den Verstand!«
    Er hatte seinen Drink kaum angerührt. Er sah sie über den Rand seines Glases hinweg an und sagte nachdenklich: »Wenn man Ihnen subversive Umtriebe vorwirft – ein vom FBI gebrauchter juristischer Begriff, verstehen Sie –, wäre es vielleicht ratsam, auf Unzurechnungsfähigkeit zu plädieren.« Er setzte sein Glas ab und legte die Fingerspitzen aneinander. Sein

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