Verrückte Zeit
hatte, und sie mußte nachdenken.
Sie nahmen also an, daß Corky noch lebte. Sie mußten Gründe für diese Annahme haben, und das bedeutete, daß sie nicht verrückt war. Ihr Gesicht brannte, als sie an die Nächte dachte, die sie mit ihm verbracht hatte, an die Dinge, die sie gesagt hatte, die Dinge, die sie getan hatten. Sie schritt auf und ab und wartete, daß der Kaffee fertig wäre. Warum beobachtete man sie? Er hatte gesagt, daß sie dächten, sie gehöre zu einem Netz von Spionen. Warum?
Sie schenkte sich eine Tasse Kaffee ein und setzte sich damit an den Tisch. Keine Notizen, nichts Geschriebenes, beschloß sie und erinnerte sich an die Notizen, die sie zuvor in dem Café gemacht hatte. Sie eilte zu ihrer Handtasche, entnahm ihr das Heft, riß die Seite heraus und verbrannte sie im Aschenbecher. Das Infrarot-Sichtgerät registrierte die flimmernde Hitze, und der Mann am Bildschirm notierte: Objekt verbrennt Papiere.
Es war klar, wie ihr schien, daß sie erwarteten, über sie irgendwie an Corky heranzukommen. Warum sonst wurde jede ihrer Bewegungen beobachtet? Und wenn sie ihn fänden, was dann? Sie schenkte sich noch eine Tasse Kaffee ein, und allmählich verspürte sie Hunger. Das Mittagessen lag eine ziemlich lange Zeit zurück. Sie machte sich ein Käsesandwich.
Sie kam zu dem Schluß, daß sie bei weitem nicht alles wußten. Sie wußten, daß Corky lebte, aber was sonst noch? Sie runzelte die Stirn und versuchte sich an alles zu erinnern, das er gesagt hatte. Er konnte Wände durchdringen, konnte gleichzeitig an mehreren verschiedenen Orten sein. Sie sah wieder das Bild vor sich, wie die Dose in die Brandung geflogen war, sah, wie seine Kleider schlaff zusammensackten, sah das Abhörgerät in der Luft schweben. Sie ging in die Abstellkammer, wo sie einige Minuten lang stehenblieb und seine Turnschuhe anstarrte, die immer noch zugeschnürt dastanden. Sie erinnerte sich daran, wie sie ihn in den Armen gehalten hatte, wie er sich aufgelöst hatte und dann größer als zuvor wieder erschienen war. Sie schloß die Augen, als eine Woge von Schmerz und Lust über ihr zusammenschlug. Sie konnten von all diesen Dingen nichts wissen, sonst würden sie nicht mit den Methoden, die sie anwandten, versuchen, ihn zu schnappen. Wachtposten konnten sein Eindringen nicht verhindern, ebensowenig wie sein Entschwinden. Plötzlich fröstelte sie. Wenn sie ihn schnappten, würden sie ihn umbringen. Wenn jemand wie er frei herumschwebte, gab es keinerlei Geheimhaltung mehr. Sie würden ihn umbringen.
Und wenn sie einen Plan hatten, ihn aus der Verborgenheit zu locken? Sie würden sie dazu benutzen, das wußte sie, obwohl sie sich nicht vorstellen konnte, wie. Sie biß sich auf einem Fingerknöchel herum. Morris, dachte sie, er würde sich Hilfe einfallen lassen, wüßte, was zu tun wäre. Vielleicht glaubte er kein Wort von dem Ganzen, aber er würde helfen, so gut er konnte. Wenigstens würde er erreichen, daß sie in Ruhe gelassen würde, und dann könnte sie, wenn Corky wieder auftauchte, ihm sagen, daß er verschwinden, sich verstecken und nie wieder in ihre Nähe kommen sollte. Das mußte sie ihm sagen. Sie nickte, und ihre Sicht wurde von Tränen verschleiert. Oder noch besser wäre es, wenn Morris es ihm selbst sagte. Sie ging schnell ans Telefon, um Morris anzurufen. Sie wählte seine Nummer, dann legte sie wieder auf, bevor das erste Rufzeichen ertönte, da ihr einfiel, daß sie von diesem Telefon aus nicht sprechen konnte.
Joe Krueger, der ihr Telefon überwachte, rief Morris an und sagte ihm, daß er einen Anruf zu erwarten hatte. »Sie hat gewählt und wieder aufgelegt«, sagte Joe. »Jetzt geht sie zu einem öffentlichen Telefon. Seien Sie darauf gefaßt.«
Morris Pitts lächelte und pfiff vor sich hin, während er sein Steak auf dem Grill wendete.
Lauren zog sich den Mantel wieder an, ließ ihr Sandwich liegen, ohne einmal hineingebissen zu haben, und ging hinaus.
ZWANZIGSTES KAPITEL
Es regnete nicht mehr, doch die Straßen und Gehwege glänzten immer noch feucht. Unzählige Lichter wurden gebrochen, neu formiert, länglich verzerrt, schrumpften zu Punkten zusammen. Das Rot der Ampel schnitt durch die goldenen Dunstschwaden und verschwand. Lauren ging langsam, mit gesenktem Kopf. Wieviel konnte sie Morris anvertrauen, wieviel würde er sich anhören, ohne zu dem Schluß zu kommen, daß sie verrückt war? Sie wußte, daß sie nichts beweisen konnte, und es hörte sich so wahnsinnig an, wie es
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