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Verschärftes Verhör

Verschärftes Verhör

Titel: Verschärftes Verhör Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Siler
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ihre Genitalien.
    »Da«, sagte Kurtz und deutete auf einen Jungen, der weiter hinten in der Schlange stand.
    Spontan glaubte Kat, es müsse sich um einen Irrtum handeln. Sie hatte schon einige Kämpfer gesehen, doch das waren erwachsene Männer gewesen. Dieser Gefangene hingegen war kaum mehr als ein Kind, sein Gesicht glatt und ohne Bartwuchs, mit dem schmalen Körper eines Heranwachsenden. Obwohl sechzehn das Mindestalter für Gefangene war, gerieten immer wieder Jüngere in die Razzien. Das Protokoll sah vor, sie mit einer Tüte Schokoriegel und heißen Tamales aus dem PX in ihre Heimatdörfer zu entlassen. So würde man zweifellos auch mit diesem Jungen verfahren.
    »Er ist doch noch ein Kind«, sagte Kat beiläufig.
    Die beiden bulligen Militärpolizisten am Anfang der Schlange brüllten den nächsten Gefangenen an. Als er vortrat, packten sie ihn am Hals und drückten seinen Kopf hinunter, um die Körperöffnungen zu durchsuchen. Kat sah, wie sich der Bauch des Jungen verkrampfte.
    »Ich sage dir, er ist nicht von hier«, beharrte Kurtz.
    Kat wollte sich abwenden, hielt dann aber inne. So ungern sie es sich eingestand, konnte er durchaus recht haben. »Tritt bitte vor«, sagte sie auf Arabisch, worauf der Junge tatsächlich gehorchte.
    »Wie heißt du?« Als er nicht sofort antwortete, glaubte sie schon an einen Irrtum, eine zufällige Reaktion.
    Dann schaute er sie blinzelnd an. »Jamal«, sagte er zähneklappernd. Er zitterte am ganzen Körper vor Angst oder Kälte oder beidem, und seine Oberlippe war mit Rotz verschmiert.
    Kat wandte sich an Kurtz. »Hol eine Decke.« Zu dem Jungen: »Schon gut, alles wird gut.«
    Der Junge nickte skeptisch und wischte sich die Nase mit dem Handrücken ab.
    »Wie alt bist du, Jamal?«
    Er hielt inne, bevor er antwortete, als wäre ihm auf einmal bewusst, wie viel von dieser Information abhing. Eine Fahrkarte nach Guantánamo oder ein Leben in Freiheit.
    »Fünfzehn«, sagte er schließlich, und Kat dachte, richtige Antwort, gut gemacht.
    Sie schaute sich im Raum um und versuchte, Kurtz inmitten der Fluten von Menschen zu entdecken. Eine Decke. Die Schlüsselbeine des Jungen stachen aus dem mageren Körper hervor. Wie lange konnte es dauern, eine gottverdammte Decke zu holen?
    Als sie aufblickte, sah sie sich nicht Kurtz, sondern Colin gegenüber. Er beobachtete sie und hatte es anscheinend schon eine ganze Zeit getan.
Madrid
    Die richtige Antwort oder die falsche, dachte Kat, als die Maschine auf der Landebahn in Barajas aufsetzte und zum Terminal rollte.
    Sie sollten einen Blick darauf werfen, hörte sie den Mann sagen. Letztlich hatte er ihr seinen Namen genannt, Morrow. Von ihm stammte auch die Unterschrift unter dem Einsatzbefehl. Auf dem Boden vor dem Beifahrersitz lag Jamals Akte. Kats eigene Worte, die ihr nach drei Jahren seltsam fremd erschienen.
    Sie sollten einen Blick darauf werfen. Sie hatte verstanden, dass die dreistündige Fahrt zum Dulles Airport die einzige Gelegenheit dazu bot.
    Das Flugzeug bremste ab, und die Passagiere sprangen von ihren Sitzen, strichen die Kleidung glatt, drängelten nach vorn. Kat quetschte sich in den Gang und holte ihre Tasche aus dem Gepäckfach. Nach einer langen, schlaflosen Nacht hatte sie den Fehler begangen, kurz vor der Landung eine Stunde zu dösen. Sie fühlte sich, als hätte man ihr Sand in die Augen gerieben.
    Im Hotel in Madrid wird man Sie erwarten, hatte Morrow beim Aussteigen am Flughafen gesagt und ihr einen kleinen braunen Umschlag ausgehändigt. Flugtickets und eine Hotelreservierung. Fünfhundert Euro in mittelgroßen Scheinen. Stecken Sie es bitte ins Geldfach Ihres Portemonnaies. Das sieht besser aus. Für wen soll es gut aussehen?, hatte sie sich gefragt.
    Jemand stieß Kat von hinten an, und sie wurde durch den Gang geschoben, hinaus auf die schmale Rampe und ins Terminalgebäude.
    Du bist zum Vergnügen hier, mahnte sie sich und holte den Pass aus der Handtasche, während sie ihre Rolle noch einmal im Kopf durchging. Urlaub in Spanien. Tapas und Tanz. Der obligatorische Nachmittag im Prado.
    Kein Grund zur Sorge. Doch als sie dem jungen Mann am Zoll den Pass reichte, musste sie das Zittern ihrer Hände unterdrücken.

 
Kalifornien 1990
    Willkommen im Paradies. Das hatte Kurtz’ Mitbewohner, ein Rekrut von der CIA, der eigentlich Jonathon Pope hieß, aber Digger gerufen wurde, am ersten Abend in Monterey gesagt.
    Kurtz hatte viele Geschichten über das Defense Language Institute gehört, über die

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