Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verschärftes Verhör

Verschärftes Verhör

Titel: Verschärftes Verhör Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Siler
Vom Netzwerk:
Parkplatz war verlassen bis auf einige salzzerfressene Fahrzeuge, die Einheimischen gehörten. Harry stieg vor dem alten Terminalgebäude aus und versuchte, sich an Morrows Privatnummer zu erinnern. Früher hatte er ein tadelloses, geradezu fotografisches Gedächtnis gehabt, doch sein Gehirn hatte nachgelassen. Unsicher ging er zu dem Münztelefon hinüber. Der Escort parkte ein Stück entfernt in Strandnähe.
    Harry warf eine Handvoll Kleingeld in den Schlitz und wartete auf das Freizeichen. Dann tippte er die Nummer ein.
    Es klingelte zweimal. Viermal. Sechsmal. Vielleicht hatte er sich doch geirrt.
    Achtmal, dann klickte es. »Hallo?« Es war Susan.
    Harry suchte nach Worten.
    »Hallo?«
    »Ich möchte Dick Morrow sprechen.« Harry schluckte schwer, spürte die aufsteigende Panik in der Kehle.
    Sie hielt inne. »Harry? Bist du das?« Ihre Stimme klang genau wie früher.
    »Verzeihung?« Wovor fürchtete er sich? Weshalb verspürte er das Bedürfnis, sie anzulügen?
    »Egal.« Sie klang beinahe enttäuscht. »Ich habe Sie mit jemandem verwechselt. Ich sehe nach, ob ich ihn finde.«
    Er hörte, wie sie den Hörer hinlegte und rief: »Marina! Marina, ist mein Mann zu Hause?«
    Eine andere, ausländisch klingende Frauenstimme. Schritte, dann schlug eine Tür zu. Ein zweiter Hörer wurde abgehoben.
    »Ja?« Morrow.
    »Pfeif deine Hunde zurück, Dick«, sagte Harry.
    Er konnte hören, wie Morrow die Hand über den Hörer legte. Dann seinen gedämpften Ruf: »Marina! Häng ein!« Er meldete sich wieder. »Ganz ruhig, Harry.«
    »Ich bin ruhig.« Was zu seiner eigenen Überraschung sogar stimmte. »Ich weiß nichts über den Jungen oder wohin er geflohen sein könnte. Daher wäre ich sehr dankbar, wenn man mich in Ruhe ließe. Ich habe zwei deiner Gorillas auf den Fersen. Du kannst gern mit ihnen reden.« Er winkte den Männern in dem weißen Escort zu. »Hey, Starsky! Hutch! Kommt mal rüber!«
    Die beiden schauten einander verlegen an und blickten dann zum Strand.
    »Ganz ruhig«, sagte Morrow noch einmal. »Wir wissen von dem Anruf, Harry. Wir wissen, dass er Kontakt zu dir aufnehmen wollte. Du hast ihm doch deine Nummer gegeben oder?«
    »Ein kleiner Fehler meinerseits«, erklärte Harry. Und dann, um vom Thema abzulenken: »Was wolltet ihr überhaupt von dem Jungen? Er war eine Sackgasse.«
    »Nein, Harry, du warst die Sackgasse.«
    »Er ist nicht einmal in die Moschee gegangen«, widersprach Harry. »Er verbrachte die Freitage damit, in der Rosaleda Freier aufzugabeln, Herrgott nochmal.«
    »Deinem Nachfolger hat er aber etwas anderes erzählt.«
    »Das glaube ich nicht.«
    »Glaub doch, was du willst«, erwiderte Morrow. »Leider kann ich dich noch nicht in Ruhe lassen. Was, wenn der Junge noch einmal anruft? Und wenn Irene ihm diesmal deine neue Nummer gibt?«
    »Lass Irene aus dem Spiel«, protestierte Harry, obwohl es sinnlos war.
    »Ich wünschte, wir könnten dir vertrauen, Harry, ganz ehrlich. Aber wer sagt, dass dir nicht noch ein kleiner Fehler unterläuft? Nein, die Gorillas, wie du sie zu nennen beliebst, müssen bleiben.«
    »Du kannst mich mal.«
    »Du mich auch«, erwiderte Morrow vergnügt. »Ruf mich an, wenn du etwas hörst.«

18
Marokko
    Woher war die Frau gekommen?, fragte sich Manar, als sie auf die Straße trat und das Tor hinter sich schloss, wobei der eiserne Riegel hörbar einrastete. Wer war dieses andere Ich, das sich vor niemandem zu fürchten schien und so dringend und unbeirrbar die Wahrheit erfahren wollte?
    Manar hatte niemandem erzählt, dass sie bei Asiya gewesen war oder was sie dorthin geführt hatte: die schwache Hoffnung, die sie sich selbst gestattet hatte. Sie wusste, dass das Kind ihre Mutter nur an die Schande erinnert hätte, die Manar ihnen bereitet hatte. Sie war eine Narbe auf dem Angesicht ihrer Familie, ein Mensch, über den man im Flüsterton und auch nur mit den engsten Angehörigen sprach.
    Manar hatte versucht, den Gedanken an den Jungen zu verdrängen. Sie wusste, was für ein Leben die Kinder im Waisenhaus erwartete. Ihr war klar, was die alte Frau gemeint hatte, als sie sagte, manchmal sei es besser, nichts zu wissen. Und doch hatte sie das Kind nicht vergessen können.
    Nach dem Besuch bei der Haushälterin hatte sie wach gelegen und sich an jenen kurzen Augenblick im Gefängniskrankenhaus erinnert. Wie er gerochen hatte, als sie ihn an sich drückte. Und zum ersten Mal, seit sie ihr den Jungen vor so vielen Jahren weggenommen hatten, war Hoffnung in ihr

Weitere Kostenlose Bücher