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Verschärftes Verhör

Verschärftes Verhör

Titel: Verschärftes Verhör Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Siler
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allerdings eher nach einem Löwenrudel aus, das nur hinein-, aber nicht hinausgehen will.«
    Es war der 1. April, der Montag nach Ostern, und die vierhundert Kilometer nördlich gelegene Stadt Da Nang war am Vortag vom Vietcong eingenommen worden. Es war nur eine Frage von Tagen, wenn nicht gar Stunden, bevor die Nordvietnamesen Nha Trang erreichten.
    »Wie steht es mit Freunden?«, erkundigte sich Harry. Er dachte an das Versprechen, das er An gegeben hatte. »Mitarbeiter und so weiter.«
    »Offiziell bekommt jeder einen Platz, der einen braucht.«
    »Und inoffiziell?«
    »Was glauben Sie denn, Harry?«
    Er sah wieder Ans versteinertes Gesicht, in dem sich die Ahnung seines Scheiterns abzeichnete.
    »Sagen Sie mir, wie viele Sie haben, dann setze ich sie auf die Transportliste. Mehr kann ich nicht tun. Wir hätten schon vor Wochen mit der Evakuierung beginnen sollen, aber Martin meint immer noch, wir könnten Saigon halten.«
    »Es sind insgesamt drei. Meine Haushälterin und ihre Eltern.«
    »Die Namen?«
    Mein Gott, dachte Harry, ich weiß es nicht. Die Frau kochte sein Essen und putzte sein Badezimmer, und er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, nach ihrem vollen Namen zu fragen. »Nguyen«, riet er, da die halbe Bevölkerung Vietnams so zu heißen schien. »Nguyen, An, und Angehörige.«
    »Kommen Sie schnell, Harry, am besten gestern. Die Leute geraten allmählich in Panik. Sie haben sicher gehört, was Ed Daley passiert ist.«
    Zwei Tage zuvor war der Unternehmer nach Da Nang geflogen, um Frauen und Kinder zu retten. Der Jet von World Airways war auf der Landebahn von dreihundert amerikanischen Soldaten überrannt worden und konnte kaum vom Boden abheben. Mindestens ein blinder Passagier kam ums Leben, als er beim Start im Fahrwerksschacht zerquetscht wurde.
    »Gestern«, stimmte Harry zu. Dann hängte er ein und ging nach unten.
    Wie jede gute Dienstbotin hatte auch An die Küche ihres Arbeitgebers studiert. Mit Hilfe eines eselsohrigen Kochbuchs von 1969 und einer kleinen Auswahl von Konserven aus Saigon versuchte sich An regelmäßig an amerikanischen Lieblingsgerichten wie Thunfischauflauf, schwedischen Fleischbällchen und Obstsalat mit Marshmallows.
    Sie hantierte gerade mit einer Dose Champignoncremesuppe, als Harry in die Küche kam.
    »Heute Mittag gibt Bœuf Stroganoff«, verkündete sie, kippte den Inhalt der Dose in eine Schüssel und betrachtete ratlos die glibberige Masse.
    Harry schüttelte den Kopf. »Nein, An. Heute gibt es kein Mittagessen.«
    Sie sah ihn bestürzt an. »Sie nicht mögen?«
    »Willst du das wirklich wissen? Nein. Aber darum geht es nicht. Hast du gehört, was in Da Nang passiert ist?«
    Sie nickte.
    Das war typisch, dachte Harry, der Tod rückte näher, und sie kochte ihm Bœuf Stroganoff. »Wir müssen so bald wie möglich nach Saigon. Hol deine Eltern.«
    »Jetzt?«
    »Ja, genau jetzt.«
    »Aber Mittagessen?«
    »Ich kümmere mich darum«, sagte Harry sanft. »Hol deine Eltern.« Er sah auf die Uhr. Es war noch früh, kurz vor acht. Sie mussten bis Mittag aufbrechen, um das Tageslicht zu nutzen. »Du musst spätestens um zwölf wieder hier sein.« Zur Bekräftigung klopfte er auf seine Armbanduhr.
    An zog die Schürze aus und legte sie auf die Arbeitsplatte. »Ja, Mr Harry.«
    Er sah ihr nach, als sie durch den Garten ging, und begab sich dann nach oben. Wenn eine Station aufgegeben wurde, waren strenge Vorschriften einzuhalten. Es gab eine genaue Liste der Unterlagen, die vernichtet werden mussten, um die darin aufgeführten Agenten nicht zu gefährden. Außerdem musste er das Celestron für die lange Fahrt nach Süden gut verpacken. Wenn er es bis zum Mittag schaffen wollte, musste er sich beeilen.
    Im ersten Stock angekommen, hörte er das Telefon im Büro klingeln. Bestimmt wieder Janson, dachte er und eilte hinunter. Aber es war Susan.
    »Harry!« Sie klang durcheinander, war vermutlich betrunken. »Harry, hier ist Susan. Ist Dick bei dir?«
    »Nein«, entgegnete er abweisend. Sie hatten nicht miteinander gesprochen, seit sie ihn über die Hochzeit informiert hatte. Ihre Stimme brannte wie Whisky auf einer schlechtverheilten Wunde.
    »Er ist vor drei Tagen mit Jack McLeod nach Cam Ranh gefahren«, sagte sie mit zitternder Stimme. »Sie sollten gestern Abend zurückkommen. Niemand hat bis jetzt von ihnen gehört.«
    »Also eine gute Nachricht.«
    »Sei kein Idiot.«
    »Zu spät.«
    Stille, dann hörte er unterdrücktes Schluchzen.
    Diese Stimme, dachte Harry,

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