Verscharrt: Thriller (German Edition)
auch schon warum, aber um sicherzugehen, überprüft sie es anhand der Protokolle aus dem Prozess Der Staat New York gegen Gus Henderson. Unter den Zeugen der Staatsanwaltschaft wird als Erster Charles Faulk angeführt. Hendersons alter Weggefährte hatte sich umdrehen lassen, war als Zeuge der Staatsanwaltschaft aufgetreten, hatte ihn verraten. Das ist alles durchaus verständlich und kommt jeden Tag vor, aber manchmal folgt die Rache auf dem Fuß, und so ist es wahrscheinlich kein Zufall, dass Charles Faulk vier Tage nach Hendersons Entlassung aus dem Gefängnis zum letzten Mal gegen das Gesetz verstieß und wenig später auch seinen letzten Atemzug tat. Jetzt hat O’Hara ein Geständnis, einen Vermissten und ein Motiv, von der hübschen Aufnahme eines Weidenbaums mal ganz zu schweigen. Ein ziemlich guter Arbeitstag bei Homicide Soft. Kelso reicht das möglicherweise immer noch nicht, aber sie hat jetzt keine Zeit mehr, sich darüber Gedanken zu machen.
KAPITEL 8
Eine Stunde nachdem O’Hara ihren Schreibtisch verlassen hat, stürmen die Flat Screens auf die Bühne des Saals im zweiten Stock des Ukrainian-Centers in der Second Avenue. Wenn alles nach Plan läuft, werden Rockhistoriker und MTV -Dokumentationen später einmal bis zum Erbrechen darauf herumreiten, dass nur siebzehn Menschen den ersten Auftritt der Band sahen und vier davon, darunter auch die Mutter des Sängers, aktuell oder früher einmal Detectives des Siebten Bezirks waren. Der Raum mit seiner winzigen und kaum erhöhten, dafür aber von Plastikpflanzen eingerahmten Bühne und den seitlich an die Wände geschobenen Tischen und Stühlen weckt gleichzeitig die besten und schlimmsten Erinnerungen an die Junior High, an eine Zeit, in der es noch den Anschein hatte, als säßen alle im selben leckgeschlagenen Boot. Die Band hat den Auftritt durch die Mutter des Schlagzeugers bekommen, die drei Tage pro Woche in dem Zentrum arbeitet. Axl trägt ein weißes Button-down-Hemd, orange besprühte Lederhosen und Flip-Flops. Er packt das Mikro und knurrt a capp ella:
Let’s get the fuck out of Dodge!
Let’s get the fuck out of Dodge!
Let’s get the fuck out of Dodge!
Dann hängt er noch eine elegante weitere Zeile an.
Because Dodge …
Is the place …
We want to get the fuck … out of!
Die perplexe Menge sieht schweigend zu. O’Hara fragt sich, ob es ihr vom Schicksal vorherbestimmt ist, ihre Tage und Nächte mit geistig Umnachteten zu verbringen. Sie fragt sich außerdem, ob es– rein theoretisch betrachtet– möglich ist, einen bereits leeren Saal leer zu spielen. Axl nimmt einen großen Schluck Luft, kratzt mit dem Bart über das Mikro und stimmt erneut seinen melodiefreien Song an. Beim zweiten » Let’s get the fuck out of Dodge! « fallen drei Jugendliche und zwei stämmige Detectives in den Gesang ein, und als Axl erneut anhebt zu
Because Dodge …
Is the place …
We want to get the fuck …
… out offfff!
geht das Publikum, alle siebzehn, mit auf den Trip.
Der letzte unbeholfene Nachtrag hängt noch in der Luft, als sich der ukrainisch-amerikanische Schlagzeuger auf sein Instrument wirft, die Gitarristen unbekannter Herkunft darauf einsteigen und die reine Rock’n’Roll-Hölle losbricht.
Der Sound ist so stümperhaft, und Axl kotzt die Worte so hastig heraus, dass O’Hara nur ein oder zwei Zeilen hier und da versteht, bevor alles im Lärm untergeht. Abgesehen von seiner undeutlichen Aussprache, ist Axls Stimme stark und gefühlvoll, entrüstet und dabei düster komisch. Der Song wirft sie immer wieder aus dem Gleichgewicht, die Sätze sind entweder länger als erwartet, oder sie enden abrupt, während sich Axl an den Mikroständer klammert wie an ein Rettungsfloß, nach Luft schnappt und weiter wütet.
Sie könnte sich täuschen, aber sie glaubt, im zweiten Song zu hören:
Young lady, if you think one roast chicken
Is going to make up for doing my best friend on my floor
You’ve got a lot to learn.
That’s going to take three chickens
And a side of brussel sprooouts … beeatch.
Und der dritte Song beginnt mit:
I have a friend who says she just wants to be happy.
Good luck with that, baby girl.
Fünf Songs und neunzehn Minuten später endet der Auftritt viel zu schnell, zum Glück allerdings ohne eine erneute Zugabe von » Let’s Get the Fuck out of Dodge « . Während sich die kleine, aber ausgelassene Menge an den Bühnenrand drängt, lässt sich O’Hara von ihren Kollegen Krekorian, Nieves und Flannery
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