Verscharrt: Thriller (German Edition)
müssten.
Zuletzt macht sie im Three of Cups halt. Die Kellerbar in der Fifth Avenue stellt für eine stolze Mutter eine ganz besondere Herausforderung dar, denn sie weist sowieso schon die höchste Dichte an Bandaufklebern in der ganzen Stadt auf. Die niedrige Decke ist mit fünf, sechs, sieben Schichten an Aufklebern tapeziert. Zum Glück ist O’Hara in den letzten beiden Jahren so was wie ein Stammgast geworden, und deshalb gelingt es ihr, den Barkeeper zu überreden, den besten Werbeplatz im ganzen Viertel freizugeben: die verchromte Geldschublade der alten Registrierkasse, die an der Rückwand zwischen den Wodkas und Whiskeys steht. Jetzt wird jedes Mal, wenn jemand bezahlt, die Werbetrommel für die demnächst beste New Yorker Band gerührt.
Nach fünf Bier in zwei Stunden kommt O’Hara ganz allmählich wieder runter. Zum ersten Mal, seitdem sie das Ermittlungszimmer verlassen hat, denkt sie wieder an ihren Mordfall und wie wahrscheinlich es ist, dass Henderson seinen alten Partner Charlie Faulk ein paar Straßenecken weiter verscharrt hat. Kelso zu überreden, ihn ausbuddeln zu dürfen, wird nicht leicht sein, aber darüber kann sie sich morgen Gedanken machen, und nach einem letzten Blick auf ihr Werk an der Registrierkasse stößt sie sich vom Tresen ab. Wird Zeit, denkt sie, to get the fuck out of Dodge.
KAPITEL 9
» Könnten wir uns mal wie Erwachsene unterhalten? « , fragt O’Hara.
» Ich wüsste nicht, warum nicht « , sagt Kelso, und sein Gesicht zeigt Anzeichen von Verwunderung, als er sich auf seinem Stuhl aufrichtet. » Ist ja nicht verboten. «
» Im Moment « , sagt O’Hara, » stehen da auf der Tafel elf Namen, und zehn sind durchgestrichen. Der elfte, der Mann, der das Kauen vergessen hat, wird niemals aufgeklärt werden. Wenn der Ball auf dem Times Square fällt, wird sein Name immer noch da stehen. Und jedes Mal, wenn ich ihn sehe, wird mir schlecht. «
» Ehrlich? Ich dachte immer, ich wär der Einzige, dem es so geht. «
» Genau hier « , sagt O’Hara und zeigt auf eine Stelle mitten auf ihrer Brust. » Wie Sodbrennen. Darf ich mir mal Ihren Taschenrechner ausleihen? «
Als O’Hara das T-Wort benutzt, ändert sich Kelsos Gesichtsausdruck. Eine Sekunde lang kann O’Hara ihn nicht deuten. Dann wird ihr klar, dass Kelso ihr tatsächlich zuhört. Zum ersten Mal, seit O’Hara bei der Mordkommission ist, schenkt Kelso ihren Worten Aufmerksamkeit, und als sie sich über das kleine Gerät beugt und mit einer Fingerspitze darauf herumtippt, ist er wie gebannt.
» Derzeit haben wir zehn von elf « , sagt O’Hara. » Das ist eine Aufklärungsrate von 90,90909090. Das sind knapp über neunzig Prozent. Für einen Bezirk mit hundert Mordfällen pro Jahr wäre das wunderbar, aber für Manhattan Soft reicht das nicht. Unsere Vorgesetzten erwarten Besseres– Sie haben sie verwöhnt, Lieutenant–, und bei unserer Fallbelastung kann man es ihnen auch kaum verdenken. Mein Freund Torres sagt, Manhattan North liegt bei über achtzig Prozent, und ein kolumbianischer Drogendealer steht kurz davor, sich zu dem exekutionsartigen Gemetzel in Washington Heights zu bekennen, womit die dann auf einen Schlag acht Fälle von ihrer Liste streichen können. Wenn sie Glück haben, stehen sie am Jahresende mit einer besseren Aufklärungsquote da als wir. Und das bei einer zehn Mal höheren Fallbelastung. «
» Was schlagen Sie vor? «
» Vor zwei Wochen ist eine Krankenpflegerin aufs Revier gekommen und hat mir erzählt, der Mann, um den sie sich kümmert und der dachte, er würde abkratzen, habe sie gebeten, die Vorhänge zuzuziehen und eine Kerze anzuzünden, und ihr dann einen Mord gestanden. Vor siebzehn Jahren, sagt er, hat er einen großen schwarzen Mann erstochen und ihn in dem Garten Ecke Sixth und Avenue B vergraben. «
» In dem überwucherten Unkrautgestrüpp? «
» Ich hab mir sein Vorstrafenregister angesehen und festgestellt, dass er vor zwanzig Jahren mit seinem besten Freund Charles Faulk, einem Afroamerikaner, eins dreiundneunzig groß und hundertvier Kilo schwer, wegen eines Raubüberfalls auf dem Washington Square verhaftet wurde. Faulk ist umgefallen, und Henderson, mein Verdächtiger, hat drei Jahre in Attica abgesessen. Wann wurde er entlassen? 1990 – vor siebzehn Jahren. Zwei Wochen später verschwand Faulk. Seine Mutter hat eine Vermisstenanzeige aufgegeben, und seither wurde er nicht mehr gesehen. Der Fall ist lachhaft – der Verdächtige hat Alzheimer, hält Schwarzenegger
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